80 Jahre Teilkapitulation am Timeloberg: Der Vergangenheit gedenken, die Freiheit feiern

Pastor Dr. Diederik Noordveld wird eingebürgert

Am 4. Mai 2025 haben sich zahlreiche Gäste im Fürstensaal des Lüneburger Rathauses versammelt, um an die Teilkapitulation der deutschen Wehrmacht vor 80 Jahren auf dem Timeloberg in Lüneburg zu erinnern. Der Festakt, zu dem die Hansestadt Lüneburg gemeinsam mit der Projektgruppe Timeloberg eingeladen hatte, stand unter dem Zeichen des Gedenkens und der Hoffnung auf eine friedliche Zukunft.

Dr. Diederik Noordveld, Pastor an St. Johannis in Lüneburg und gebürtiger Niederländer, hielt die Gedenkrede. Er erinnerte an die nationale Bedeutung des 4. Mai in den Niederlanden, wo das gesamte Land für zwei Schweigeminuten innehält. „Die Läden schließen früher. Ab 19:45 läuten die Kirchenglocken. Flugzeuge dürfen in der Zeit weder landen noch starten. Und um 20 Uhr wird die Straßenbeleuchtung für zwei Minuten eingeschaltet: Züge halten auf offener Strecke an. Busse, Straßenbahnen und Fähren stoppen am nächstmöglichen Ort. Fernsehkanäle und Radiosender kommen zum Schweigen“.

Noordveld betonte: „Kriege hören nicht auf, wenn die Gewehre schweigen. Sie sind nicht vorbei, wenn der letzte Soldat bestattet, die letzte Ruine wieder aufgebaut ist. Sie hinterlassen tiefe Spuren. In Einzelpersonen. In Familien. Und sie haben eine Auswirkung auf die Leben, die aus diesen Leben entstehen. Auf dich und auf mich.“

Gedenken und Feiern – Die Kraft des nächsten Schrittes

In seiner Rede verband Noordveld das Gedenken mit dem Blick nach vorn: „Für mich ist der 4. Mai so ein kleines Lagerfeuer. Ein Tag, an dem wir uns besinnen. Gedenken. Lehren aus der Vergangenheit ziehen. Heute für morgen. Lernen aus der Vergangenheit, die Freiheit schützen, sie leben. Kräftige nächste Schritte für die Zukunft. Ich hoffe und bete, dass jede und jeder von uns in diesen Tagen etwas von diesem Feuer weitergibt.“

"Es war eine Niederlage, der Krieg war verloren. Und doch herrschte endlich Frieden.“

Prof. Dr. Heike Düselder, Leiterin Museum Lüneburg

Andere Wahrnehmung des Kriegsendes durch die Lüneburger Bevölkerung

Im Rahmen des Festakts erinnerte Prof. Dr. Heike Düselder, Leiterin des Lüneburger Museums, an die Wahrnehmung des Kriegsendes durch die Lüneburger Bevölkerung. Sie berichtete, dass 50 Jahre nach der Kapitulation Lüneburger Zeitzeugen, die 1945 13 bis 20 Jahre alt waren, gefragt worden waren, woran sie sich erinnern: „War der Einmarsch der Briten Niederlage oder Befreiung? Für viele war der Krieg vorbei, als am 18. April 1945 die Engländer in Lüneburg einmarschierten. Weder der 4. noch der 8. Mai haben sich in ihrem Gedächtnis eingeprägt. Und an Befreiung hat kaum jemand gedacht. Es war eine Niederlage, der Krieg war verloren. Und doch herrschte endlich Frieden.“

Wachsamkeit gegen Hass und Ausgrenzung

Regionalbischöfin Gorka mahnt anlässlich des 80. Jahrestages des Kriegsendes: „Am Timeloberg bei Lüneburg wurde vor 80 Jahren Geschichte geschrieben: Mit der Teilkapitulation der deutschen Wehrmacht begann für Millionen Menschen in Europa die Hoffnung auf Frieden, Versöhnung und einen Neuanfang. Doch diese Hoffnung ist kein Selbstläufer. Die Erinnerung an das Ende des Krieges verpflichtet uns, wachsam zu bleiben, wo Menschenwürde und Demokratie bedroht werden.“

Mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen sagt sie: „Heute erleben wir mit Sorge, wie rechtsextreme Kräfte an Einfluss gewinnen und die AfD vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde – weil sie ganze Bevölkerungsgruppen ausgrenzen und unsere freiheitliche Ordnung in Frage stellen. Als Christinnen und Christen stehen wir in der Verantwortung, uns klar gegen Hass und Ausgrenzung zu stellen und für eine Gesellschaft einzutreten, in der Vielfalt, Respekt und Nächstenliebe gelebt werden. Die Botschaft des Evangeliums und die Lehren aus unserer Geschichte mahnen uns: Nie wieder darf Gleichgültigkeit den Boden bereiten für Unrecht und Gewalt.“

Verantwortung und Zuneigung – Ein persönlicher Schritt

Die Gedenkfeier war zudem Anlass für Pastor Noordvelds Einbürgerung nach 21 Jahren Wirken in Deutschland. Er begründete diesen Schritt damit, dass die Staatsangehörigkeit für ihn nicht länger nur eine Frage des Wohers sei, seiner eigenen kulturellen Prägung. „Sie ist auch eine Frage der Zuneigung und der Verantwortung für ein Land, das ich gerne habe. […] In mir hat eine heilige Wut den Kopf aufgesteckt: Ich möchte nicht länger Einwohner, sondern Bürger dieses Landes sein. Deswegen habe ich die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt.“

Noordveld teilte zudem eine sehr persönliche Erfahrung, die seinen Entschluss zur Einbürgerung prägte: Zu Beginn des Jahres habe ihn seine jüngste Tochter, die noch zur Grundschule geht und die politischen Debatten über Remigration mitverfolgt hatte, gefragt: „Papa, wenn die gewinnen: Musst du dann auch weg?“ Nach einer kurzen Pause habe sie hinzugefügt: „Dann komme ich mit dir mit!“ Diese kindliche Sorge bewegte Noordveld zutiefst und machte ihm bewusst, dass Staatsangehörigkeit für ihn mehr ist als Herkunft oder kulturelle Prägung – sie ist Ausdruck von Zuneigung und Verantwortung für das Land, das ihm und seiner Familie Heimat geworden ist.

 „Papa, wenn die gewinnen: Musst du dann auch weg?“ 

Diese Frage richtite Diederik Noordvelds Tochter an ihn

Als Christ:innen immer mit doppelter Staatsbürgerschaft

Regionalbischöfin Marianne Gorka würdigte diesen Schritt: „Die Entscheidung von Diederik Noordveld, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen, ist ein Zeichen tiefer Verbundenheit und gelebter Verantwortung und sicher weit mehr als ein formaler Akt. Davor habe ich Respekt. Als Christinnen und Christen leben wir immer in einer Art doppelter Staatsbürgerschaft. Einerseits ganz in dieser Welt verankert und zugleich Mitbürger und Mitglieder von Gottes Hausgemeinschaft, getragen von der Hoffnung auf Gottes Reich. Wer sich einbürgert, bekennt sich in beiden Fällen zur Gemeinschaft und ihren Grundwerten und gestaltet das Miteinander aktiv mit – so, wie es uns der Glaube an Jesus Christus aufträgt. Das ist ein starkes Zeichen der Hoffnung und des Vertrauens in eine gemeinsame Zukunft.“

Der Festakt – Musik, Erinnerung, Verantwortung

Der Festakt wurde musikalisch von Werken von Paul Hindemith, Joseph Horovitz und Paul Reade begleitet. Im Anschluss an die Reden trugen sich Bella Stuart-Smith und Lord Montgomery ins Goldene Buch der Hansestadt ein. Die Veranstaltung wurde von Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch eröffnet und abgeschlossen. Kalisch betonte: „Die aktuelle Weltlage macht uns bewusst, wie zerbrechlich Demokratie und Frieden sind. (...) Möge es unsere gemeinsame Aufgabe sein, dass Lüneburg eine offene, vielfältige, demokratische Stadt bleibt – mit Mut, mit Haltung und mit der Kraft der Erinnerung.“

Die Teilkapitulation auf dem Timeloberg am 4. Mai 1945

Am 4. Mai 1945 wurde auf dem Timeloberg bei Lüneburg Geschichte geschrieben: In einem Armeezelt unterzeichnete eine Delegation der deutschen Wehrmacht unter Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg die bedingungslose Kapitulation aller deutschen Truppen in Nordwestdeutschland, Dänemark und den Niederlanden gegenüber Feldmarschall Bernard Montgomery. Diese Teilkapitulation trat am 5. Mai 1945 um 8 Uhr in Kraft und beendete die Kampfhandlungen in diesen Regionen.

Für Millionen Menschen bedeutete dieser Schritt das unmittelbare Ende von Krieg, Gewalt und Besatzung. Besonders in den Niederlanden und Dänemark wird der 5. Mai bis heute als Tag der Befreiung gefeiert. Die Kapitulation auf dem Timeloberg war ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Gesamtkapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 und damit zum offiziellen Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa.

Der Timeloberg steht heute als Symbol für das Ende von Unrecht und Gewalt – und für den Beginn von Frieden, Freiheit und Versöhnung in Europa.
 

Pastor Dr. Diederik Noordveld im Kurzvideo

„Vor Ihnen steht heute der 4. und der 5. Mai in Person. Ich gedenke der Vergangenheit und ich feiere die Freiheit. In Zuneigung für die Menschen. Und in Verantwortung für die Zukunft. Heute für morgen, mit gestern im Gedächtnis.“

Besonders bewegend: die Frage seiner jüngsten Tochter vor der Bundestagswahl, nachdem sie Politiker von „Re Migration“ hatte sprechen hören: „Papa, wenn die gewinnen: Musst du dann auch weg?“
Und nach einer nachdenklichen Pause: „Dann komme ich mit dir mit.“
Noordveld: „Was antwortest du da als Vater?“

Seit 21 Jahren lebt er in Deutschland – überzeugt von einem Europa, das von Werten getragen ist: „Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Toleranz, Rechtsstaatlichkeit. Was uns verbindet, ist weit größer als das, was uns trennt.“

Sehen Sie hier das gesamte Statement von Diederik Noordveld im Video.

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