Apropos Weihnachtsoratorium: Warum, glauben Sie, ist dieses Werk von Bach weltweit so beliebt?
Wellner: Man könnte sagen, es liegt einfach daran, dass es so großartige Musik ist – aber das alleine erklärt es nicht. Es gibt viele geniale Stücke, die längst nicht diese Bekanntheit erreicht haben. Ein entscheidender Faktor ist sicher das Thema selbst - Weihnachten. Dieses Fest ist heute enorm beliebt, emotional aufgeladen und ein großes gesellschaftliches Ereignis, das jedes Jahr zelebriert wird. Vor 100 Jahren war das sicherlich noch nicht in diesem Ausmaß der Fall.
Dazu kommt, dass einige Werke einfach das gewisse Etwas haben, das sie besonders macht. Dieses Unbeschreibliche trägt dazu bei, dass sie eine Schwelle der Popularität überschreiten. Sobald das passiert, verselbstständigt sich der Erfolg, ähnlich wie bei Mozarts Eine kleine Nachtmusik. Obwohl es nicht eines seiner bedeutendsten Werke ist, ist es vielleicht sein bekanntestes.
Mehr als 40 Aufführungen von Bachs Weihnachtsoratorium allein in Leipzig
Beim Weihnachtsoratorium könnte etwas Ähnliches geschehen sein. In Leipzig beispielsweise gibt es jährlich über 40 Aufführungen. Das liegt nicht nur an einer besonderen Wertschätzung der Leipziger für dieses Werk, sondern auch daran, dass sich dort ein touristisches Phänomen um dieses Stück entwickelt hat. Es zeigt, dass das Weihnachtsoratorium diese Popularität nicht nur aushält, sondern tatsächlich trägt – und damit seinen Platz als Klassiker in der Weihnachtszeit gefestigt hat.
Was hat Sie persönlich dazu bewegt, eben nicht das Weihnachtsoratorium aufzuführen, sondern ein neues Programm zu wählen?
Wellner: Ich habe eine lange Verbindung zu dieser Musik. Meine Verbindung zu dieser Musik und insbesondere zu diesen Instrumenten reicht zurück in meine Kindheit, als ich im Knabenchor Hannover gesungen habe. Damals hatten wir ein Projekt, bei dem ich erstmals mit Roland Wilson und seinen Ensembles zusammenarbeiten durfte. Schon als Kind war ich fasziniert von den außergewöhnlich aussehenden Instrumenten wie Zink, Dulzian und Chitarrone und den besonderen Klängen, die sie erzeugen. Es war für uns Jungen etwas ganz Besonderes, mit solchen historischen Instrumenten in Berührung zu kommen, die man in einem modernen Orchester kaum findet.
Eine besondere Freude Schütz und Praetorius aufzuführen
Später, als ich begann, mich intensiver mit der Musik von Michael Praetorius zu beschäftigen, entwickelte sich dieser Komponist zu einem meiner Schwerpunkte. Ich habe erkannt, wie viel Tiefe und Ausdruck in seiner Musik steckt, und dabei auch die historischen Aufführungspraktiken schätzen gelernt. Irgendwann bin ich dann an Roland Wilson herangetreten, um mit ihm Projekte zu verwirklichen. Daraus entstand eine langjährige Zusammenarbeit, bei der wir gemeinsam mit verschiedenen Chören in unterschiedlichen Städten Konzerte geplant und durchgeführt haben.
Die Möglichkeit, nun in Lüneburg Werke von Heinrich Schütz und Michael Praetorius aufzuführen, ist für mich eine besondere Freude. Beide Komponisten sind mir persönlich sehr ans Herz gewachsen, und es ist mir ein Herzensanliegen, ihre Musik einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.