Warum es nicht immer Bachs Weihnachtsoratorium sein muss

Kirchenmusikdirektor Dr. Ulf Wellner über Schütz und Praetorius im Advent

Am Samstag, den 21. Dezember, um 18:00 Uhr lädt die Kantorei St. Johannis zum großen Weihnachtskonzert im Sprengel Lüneburg ein. Im Zentrum des Abends steht die selten zu hörende Weihnachtshistorie von Heinrich Schütz, ergänzt durch Choral-Konzerte von Michael Praetorius.

Unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor für den Sprengel Lüneburg Dr. Ulf Wellner und Roland Wilson wird ein ganz besonderes Klangbild der Weihnachtszeit entstehen – mit historischen Instrumenten und hochspezialisierten Ensembles. Im Interview spricht Dr. Wellner über die Besonderheiten des Programms, die Bedeutung der historischen Aufführungspraxis und die Faszination dieser Werke.

"Es handelt sich um ein herrliches Spätwerk, das leider selten zu hören ist."

Kirchenmusikdirektor Dr. Ulf Wellner

Herr Dr. Wellner, das Weihnachtskonzert am 21. Dezember bringt Werke von Heinrich Schütz und Michael Praetorius zusammen. Was macht dieses Programm so besonders?

Wellner: Im Mittelpunkt des Konzertes steht die Weihnachtshistorie von Heinrich Schütz. Es handelt sich um ein herrliches Spätwerk, das leider selten zu hören ist. Ergänzt wird es durch drei große Choral-Konzerte von Michael Praetorius. Diese Kombination zeigt die musikalische Vielfalt der Weihnachtszeit und die unterschiedlichen Stilrichtungen der beiden Komponisten. Während Praetorius für eine sehr unmittelbare Sinnlichkeit steht, beeindruckt Schütz mit einer fantastischen Klarheit und Strenge. Beiden ist jedoch gemein, dass sie die Weihnachtsbotschaft auf einzigartige Weise musikalisch zum Ausdruck bringen.

Die Weihnachtshistorie von Schütz wird nicht so häufig aufgeführt. Warum sollte man sie kennenlernen?

Wellner: Es ist ein sehr lebendiges und frisches Werk, das zeigt, wie modern Schütz auch im hohen Alter komponierte. Besonders spannend ist, wie die verschiedenen Figuren der Weihnachtsgeschichte – die Engel, die Hirten, Herodes oder die Weisen aus dem Morgenland – jeweils mit unterschiedlichen Instrumentengruppen charakterisiert werden. Diese italienisch geprägte Klangsprache gibt dem Werk eine außergewöhnliche Farbigkeit. Die Weihnachtshistorie ist für ihre Zeit ein hochmodernes Stück, das zu Unrecht im Schatten des Weihnachtsoratoriums von Bach steht.

"Dieses Unbeschreibliche trägt dazu bei, dass sie eine Schwelle der Popularität überschreiten."

Dr. Ulf Wellner über Bachs Weihnachtsoratorium

Apropos Weihnachtsoratorium: Warum, glauben Sie, ist dieses Werk von Bach weltweit so beliebt?

Wellner: Man könnte sagen, es liegt einfach daran, dass es so großartige Musik ist – aber das alleine erklärt es nicht. Es gibt viele geniale Stücke, die längst nicht diese Bekanntheit erreicht haben. Ein entscheidender Faktor ist sicher das Thema selbst - Weihnachten. Dieses Fest ist heute enorm beliebt, emotional aufgeladen und ein großes gesellschaftliches Ereignis, das jedes Jahr zelebriert wird. Vor 100 Jahren war das sicherlich noch nicht in diesem Ausmaß der Fall.

Dazu kommt, dass einige Werke einfach das gewisse Etwas haben, das sie besonders macht. Dieses Unbeschreibliche trägt dazu bei, dass sie eine Schwelle der Popularität überschreiten. Sobald das passiert, verselbstständigt sich der Erfolg, ähnlich wie bei Mozarts Eine kleine Nachtmusik. Obwohl es nicht eines seiner bedeutendsten Werke ist, ist es vielleicht sein bekanntestes.

Mehr als 40 Aufführungen von Bachs Weihnachtsoratorium allein in Leipzig

Beim Weihnachtsoratorium könnte etwas Ähnliches geschehen sein. In Leipzig beispielsweise gibt es jährlich über 40 Aufführungen. Das liegt nicht nur an einer besonderen Wertschätzung der Leipziger für dieses Werk, sondern auch daran, dass sich dort ein touristisches Phänomen um dieses Stück entwickelt hat. Es zeigt, dass das Weihnachtsoratorium diese Popularität nicht nur aushält, sondern tatsächlich trägt – und damit seinen Platz als Klassiker in der Weihnachtszeit gefestigt hat.

Was hat Sie persönlich dazu bewegt, eben nicht das Weihnachtsoratorium aufzuführen, sondern ein neues Programm zu wählen?

Wellner: Ich habe eine lange Verbindung zu dieser Musik. Meine Verbindung zu dieser Musik und insbesondere zu diesen Instrumenten reicht zurück in meine Kindheit, als ich im Knabenchor Hannover gesungen habe. Damals hatten wir ein Projekt, bei dem ich erstmals mit Roland Wilson und seinen Ensembles zusammenarbeiten durfte. Schon als Kind war ich fasziniert von den außergewöhnlich aussehenden Instrumenten wie Zink, Dulzian und Chitarrone und den besonderen Klängen, die sie erzeugen. Es war für uns Jungen etwas ganz Besonderes, mit solchen historischen Instrumenten in Berührung zu kommen, die man in einem modernen Orchester kaum findet.

Eine besondere Freude Schütz und Praetorius aufzuführen

Später, als ich begann, mich intensiver mit der Musik von Michael Praetorius zu beschäftigen, entwickelte sich dieser Komponist zu einem meiner Schwerpunkte. Ich habe erkannt, wie viel Tiefe und Ausdruck in seiner Musik steckt, und dabei auch die historischen Aufführungspraktiken schätzen gelernt. Irgendwann bin ich dann an Roland Wilson herangetreten, um mit ihm Projekte zu verwirklichen. Daraus entstand eine langjährige Zusammenarbeit, bei der wir gemeinsam mit verschiedenen Chören in unterschiedlichen Städten Konzerte geplant und durchgeführt haben.

Die Möglichkeit, nun in Lüneburg Werke von Heinrich Schütz und Michael Praetorius aufzuführen, ist für mich eine besondere Freude. Beide Komponisten sind mir persönlich sehr ans Herz gewachsen, und es ist mir ein Herzensanliegen, ihre Musik einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. 

Wie arbeiten die Kantorei St. Johannis und die Spezialensembles von Roland Wilson zusammen?

Wellner: Die Zusammenarbeit ist eine wunderbare Ergänzung. Die Solopartien werden von den hochspezialisierten Sängerinnen und Sängern aus Roland Wilsons Ensemble übernommen, die auf Renaissance- und Barockmusik spezialisiert sind. Die Kantorei übernimmt die Chorteile.

Für viele Chormitglieder ist es eine spannende Herausforderung, sich in diese ungewohnte Stilistik einzufinden, insbesondere wegen der historischen Notation mit großen Notenwerten, die anders ist als bei Bach oder moderner Musik. Diese Kombination von Solisten und Chor macht das Konzert zu einem besonderen Erlebnis.

Wie wichtig sind die historischen Instrumente für dieses Konzert?

Wellner: Sie sind entscheidend, um den authentischen Klang der Epoche wiederzugeben. Instrumente wie Zink, Dulzian oder Chitarrone, die in modernen Orchestern nicht mehr vorkommen, machen diese Musik besonders. Der Dulzian ist ein Vorläufer des Fagotts, während der Zink – ein Holzblasinstrument mit Trompetenmundstück – einen kammermusikalischen und stilleren Klang hat. Solche Instrumente waren zwischen 1500 und 1700 essenziell für die Kunstmusik und sind heute unverzichtbar, wenn man diesen Stil originalgetreu musizieren möchte.

Was ist für Sie die zentrale Botschaft dieses Konzerts?

Wellner: Es geht darum, die Vielfalt der Weihnachtsmusik. Die Kombination von Schütz und Praetorius zeigt, wie unterschiedlich und doch kraftvoll die Weihnachtsbotschaft klingen kann. Dieses Konzert ist eine Einladung, Weihnachten auf eine neue, musikalische Weise zu feiern und dabei Werke zu entdecken, die es verdienen, häufiger gehört zu werden.

Über Dr. Ulf Wellner

Dr. Ulf Wellner (*1977 in Hannover) ist ein renommierter Kirchenmusiker und Musikwissenschaftler. Seine musikalische Laufbahn begann im Knabenchor Hannover, gefolgt von einem Studium der Kirchenmusik in Leipzig, das er 2003 mit dem A-Examen abschloss. Ein Auslandssemester in Antwerpen und eine Promotion über den Komponisten Michael Praetorius unterstreichen seinen wissenschaftlichen Anspruch.

Er leitete den Leipziger Universitätschor (2004–2005), wirkte ab 2009 als Kirchenmusiker an der Jakobikirche Lübeck und ab 2013 an der Martinikirche Minden. Zudem lehrte er ab 2015 Musikgeschichte an der Hochschule für Kirchenmusik in Westfalen. Seit 2023 ist er Kirchenmusikdirektor an St. Johannis für den Sprengel Lüneburg.

Zu seinen wissenschaftlichen Arbeiten zählt die Veröffentlichung „Die Titelholzschnitte in den Drucken des Michaël Prætorius Creutzbergensis“ (2022). Darüber hinaus ist er für seine Expertise in der Alten Musik und Zusammenarbeit mit Ensembles wie Canto Armonico bekannt. Weitere Einblicke in sein Schaffen gibt seine persönliche Website.

Mehr zu Dr. Ulf Wellner

Interview mit Ulf Wellner

In diesem ausführlichen Interview erfahren Sie Hintergründe zu dem Weihnachtskonzert mit den Stücken von Heinrich Schütz und Michael Pretorius sowie Hintergrundinformationen zur Nutzung der historischen Instrumente sowie zur Zusammenarbeit mit Roland Wilson.

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Am Samstag, den 21. Dezember 2024, erwartet Sie um 19 Uhr in der historischen Kirche St. Johannis in Lüneburg ein musikalisches Highlight der Adventszeit: Die Weihnachtshistorie von Heinrich Schütz. Tauchen Sie ein in eine feierliche Barockkomposition, die das Weihnachtsgeschehen mit eindrucksvollen Chören, Soli und klangreicher Instrumentalmusik erzählt.

Unter der Leitung von Dr. Ulf Wellner, dem Kirchenmusikdirektor von St. Johannis, interpretiert das Ensemble mit fein nuancierter Musikalität und tiefem Gespür für den Geist dieser Zeit. Die bewegenden Klänge von Schütz’ Meisterwerk lassen die biblische Weihnachtsgeschichte lebendig werden und stimmen perfekt auf das Fest ein.

Wer sich das außergewöhnliche Weihnachtskonzert ansehen möchte, kann noch Tickets erwerben. Sichern Sie sich jetzt Ihre Tickets!

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