„Die ‚Hölle auf Erden‘ darf hier nicht das letzte Wort behalten“

Regionalbischöfin Marianne Gorka über den 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen

Am 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen kamen Überlebende, Nachkommen, Vertreter:innen aus Politik, Kirche und Gesellschaft zusammen, um der Opfer zu gedenken und gemeinsam gegen das Vergessen einzustehen. Regionalbischöfin Marianne Gorka war als Vertreterin des Sprengels Lüneburg vor Ort. Im Interview spricht sie über persönliche Eindrücke, die Verantwortung der Kirche und die Kraft der Erinnerung – und wählt dabei Worte, die nachhallen.

Frau Gorka, was hat es für Sie persönlich bedeutet, am 80. Jahrestag der Befreiung von Bergen-Belsen an der Gedenkfeier teilzunehmen?

Gorka: Es ist für mich ein großes Privileg, gezielt dazu eingeladen worden zu sein – das ist nicht selbstverständlich. Gleichzeitig empfinde ich es als Verpflichtung: Das Mindeste, was wir tun können, ist, denen die Ehre zu erweisen, die diesem Vernichtungswillen zum Opfer fielen, und denen, die überlebt haben. Wir müssen gemeinsam dafür stehen, dass sich solches Grauen nie wiederholt, nie wiederholen darf.

"Alles, was wir tun, tun wir in Gemeinschaft und im Zeichen der Treue Gottes zum jüdischen Volk. Darum stehen wir auch bei solchen Gedenkveranstaltungen an der Seite der Jüdinnen und Juden."

Marianne Gorka, Regionalbischöfin im Sprengel Lüneburg

„Wir stehen an der Seite der Jüdinnen und Juden – das ist in unserer Verfassung verankert.“

Welche Rolle sehen Sie für die evangelische Kirche bei solchen Gedenkveranstaltungen, insbesondere angesichts des aktuellen weltweiten gesellschaftlichen und politischen Rechtsrucks?

Gorka: Unsere evangelische Kirche hat inzwischen in ihrer Verfassung verankert, dass wir als christliche Kirche bleibend mit dem erwählten Gottesvolk Israel verbunden sind. Alles, was wir tun, tun wir in Gemeinschaft und im Zeichen der Treue Gottes zum jüdischen Volk. Darum stehen wir auch bei solchen Gedenkveranstaltungen an der Seite der Jüdinnen und Juden. Wir teilen das erste Testament, das sogenannte Alte Testament, und damit wichtige Grundlagen des Glaubens und der Glaubenspraxis, wie die Zehn Gebote, die Psalmen, prophetische Texte und das Verständnis dieser Welt als Schöpfung Gottes. Dieses Testament gibt uns wesentliche Werte und Grundlagen vor, die für uns in Jesus Christus in besonderer Weise verkörpert werden. Dazu gehört: Jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes, von gleicher Würde. Die Würde jedes Menschen ist zu schützen, seine Freiheit zu achten. Darum wenden wir uns gegen jede Form von Politik oder menschlichem Handeln, das die Würde und Freiheit von Menschen missachtet, ihnen schadet oder sie demütigt.

Anders gesagt: Als Kirche bewahren wir nicht nur die Erinnerung an die Vergangenheit, sondern verbinden das Gedenken zugleich mit der kritischen Auseinandersetzung in der Gegenwart. Gerade angesichts des aktuellen weltweiten gesellschaftlichen und politischen Rechtsrucks ist es Aufgabe der Kirche, sich klar für Menschenwürde, Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen. Sie muss eine Stimme der Versöhnung und der Mahnung sein, die deutlich macht, dass Ausgrenzung, Rassismus und Nationalismus unvereinbar sind mit dem christlichen Menschenbild. Gedenkveranstaltungen bieten eine wichtige Plattform, um diese Werte öffentlich zu bekräftigen und für eine offene, solidarische Gesellschaft einzutreten.

"Auch für Erwachsene gilt: Immer wieder Gesprächsangebote machen, Räume anbieten für Diskussionen, Vorträge und gegenseitiges Kennenlernen. 'Damit aus Fremden Freunde werden' – oder doch wenigstens Bekannte."

Marianne Gorka, Regionalbischöfin im Sprengel Lüneburg

„Das ist schon beeindruckend und gibt ein hoffnungsvolles Bild, eine Vision von einer gelingenden Staatengemeinschaft.“

Wie erleben Sie die Atmosphäre und das Miteinander von Überlebenden, Nachkommen, Politik, Kirche und Gesellschaft an einem solchen Tag?

Gorka: Es war eine beeindruckende Atmosphäre. Für manche der Überlebenden ist es auch eine Art Wiedersehensfeier, was man umso mehr versteht vor dem Hintergrund, dass die Überlebenden inzwischen alle alt, teils hochbetagt sind. Viele junge Menschen, Schülerinnen und Schüler oder Jugendgruppen, waren mit dabei, die sich mit der Geschichte dieses Lagers und der Shoah auseinandergesetzt haben. Einige von ihnen haben Kränze niedergelegt. Insgesamt kommen dort Menschen aus zig Nationen zusammen – aus den USA, Australien, Großbritannien, der Schweiz und vielerorts mehr: Überlebende, Angehörige, Diplomat:innen, Militär, Regierungsvertreter:innen, Kirchenvertreter:innen. Ihnen allen liegt die Erinnerung am Herzen, um daraus Lehren für uns heute und für die Zukunft zu ziehen. Das ist schon beeindruckend und gibt ein hoffnungsvolles Bild, eine Vision von einer gelingenden Staatengemeinschaft.

„Hoffnung war ein immer wiederkehrendes Wort bei dieser Gedenkfeier.“


Wie prägt Ihr christlicher Glaube Ihren Umgang mit der Erinnerung an den Holocaust und die Verbrechen der NS-Zeit?

Gorka: „Hoffnung“ war ein immer wiederkehrendes Wort bei dieser Gedenkfeier. Die Hoffnung wird auch in der israelischen Nationalhymne besungen. Sie wurde unmittelbar nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen von Überlebenden angestimmt und ist bis heute Bestandteil des Gedenkens. Hoffnung eint uns auch im Glauben. „Dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung“ ist eine der großen Verheißungen aus dem Buch des Propheten Jeremia. Daran glaube ich fest, dass es trotz allem immer eine Zukunft, eine Hoffnung für uns gibt. Darum habe ich diesen Vers auch zu meinem Einsegnungsvers gewählt.

Welche theologischen oder biblischen Impulse sind für Sie bei der Auseinandersetzung mit dem Gedenken an Bergen-Belsen besonders wichtig?

Gorka: Als evangelische Kirche verstehen wir Gedenkveranstaltungen als geistliche Orte der Erinnerung und der Umkehr. In biblischer Perspektive, schon in den ersten Büchern Mose, ist das Erinnern („Gedenke…“ – 5. Mose 8,2) immer verbunden mit Verantwortung für das Heute. Als Christinnen und Christen haben wir die Ermutigung und den Auftrag, als „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ (Matthäus 5,13-14) sichtbar Stellung zu beziehen: für die Würde aller Menschen, für Gerechtigkeit und Frieden.

In einer Zeit wachsender Polarisierung erinnert uns das Evangelium an die Überwindung von „Mauern“ und Grenzen, auch in den Köpfen der Menschen (Epheser 2,14), und an Gottes Ruf zur Versöhnung. Gedenkveranstaltungen sind für uns eine Vergewisserung, Gottes Liebe in Wort und Tat glaubwürdig in die Gesellschaft hineinzutragen. Kurz gesagt: Gedenken ist Grundlage des biblischen und christlichen Glaubens. Menschen wollen und sollen nicht vergessen sein. Bei Gott sind sie es nie!

Inwiefern kann die Kirche heute dazu beitragen, Antisemitismus entgegenzutreten und die Erinnerung an die Shoah wachzuhalten?

Gorka: Das ist Teil unserer Bildungsaufgabe – gerade mit jungen Menschen: Im Konfirmandenunterricht und in Jugendgruppen sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen, aber auch die daraus sich heute ergebenden Fragestellungen aufzugreifen. Auch für Erwachsene gilt: Immer wieder Gesprächsangebote machen, Räume anbieten für Diskussionen, Vorträge und gegenseitiges Kennenlernen. „Damit aus Fremden Freunde werden“ – oder doch wenigstens Bekannte. Nur ein Beispiel dafür ist das Internationale Café in Winsen Luhe: Wenn ich jemanden aus dem Iran oder aus Afrika persönlich kennengelernt habe, seine oder ihre Fluchtgeschichte gehört habe, dann rede ich nicht mehr so leicht in Stereotypen und Pauschalurteilen. Das hilft, Vorurteile abzubauen.

„Erinnerung und gelebte Solidarität gehören für die Kirche untrennbar zusammen.“

Wie gehen Sie als Regionalbischöfin und Theologin mit der historischen Schuld und dem Versagen der Kirchen während der NS-Zeit um?

Gorka: Als Christin sehe ich es als meinen Auftrag, die Erinnerung an den Holocaust lebendig zu halten und heute klar für Mitmenschlichkeit und gegen jede Form von Ausgrenzung einzustehen. Die Kirche kann heute auf vielfältige Weise dazu beitragen, Antisemitismus entgegenzutreten und die Erinnerung an die Shoah wachzuhalten. Sie ist berufen, in Gottesdiensten, Bildungsarbeit und öffentlicher Stellungnahme das Unrecht klar zu benennen und sich solidarisch an die Seite jüdischer Menschen zu stellen.

Durch die Pflege von Kontakten zu jüdischen Gemeinden, die gemeinsame Erinnerungskultur und das konsequente Eintreten gegen jede Form von Antisemitismus im Alltag zeigt die Kirche, dass sie aus ihrer Geschichte gelernt hat. Darüber hinaus ist es ihre Aufgabe, theologisch klarzustellen, dass jede Form von christlichem Antijudaismus eine Verleugnung des Evangeliums bedeutet. Erinnerung und gelebte Solidarität gehören für die Kirche untrennbar zusammen.

Als Regionalbischöfin und Theologin trage ich die historische Schuld der Kirche mit im Bewusstsein meines Dienstes. Das Versagen vieler Christinnen und Christen während der NS-Zeit wie auch in anderen Zusammenhängen beschämt mich und mahnt mich zugleich, wachsam und klar in meinem eigenen Reden und Handeln zu bleiben. Der klare Widerstand, das klare Nein, waren einfach zu leise oder zu zaghaft. Wir alle können die Geschichte nicht ungeschehen machen, aber wir können zu unserer Zeit für Menschenwürde, Recht und Versöhnung eintreten – im Vertrauen auf Gottes erneuernde Kraft.

„Erinnerungsarbeit ist nie eine isolierte Aufgabe, sondern immer Beziehung stiftend und versöhnend.“

Welche Bedeutung hat das gemeinsame Gedenken mit jüdischen Gemeinden und Vertreter:innen anderer Religionen für Sie?

Gorka: Das gemeinsame Gedenken mit jüdischen Gemeinden und Vertreter:innen anderer Religionen ist für mich ein tiefes Zeichen der Verbundenheit und des gegenseitigen Respekts. Es zeigt, dass Erinnerungsarbeit nie eine isolierte Aufgabe ist, sondern immer Beziehung stiftet und Versöhnung sucht. Gerade nach der Schuldgeschichte der Kirche ist es ein Geschenk, gemeinsam zu gedenken und so auch in aller Unterschiedlichkeit ein öffentliches Zeichen gegen Antisemitismus, Hass und Ausgrenzung zu setzen. Es ist für mich Ausdruck unserer gemeinsamen Verantwortung für eine friedliche und gerechte Zukunft.

„Ich freue mich, dass wir Orte wie Bergen-Belsen ins Bewusstsein bringen.“

Wie kann die Landeskirche junge Menschen für das Erinnern und den Kampf gegen das Vergessen gewinnen?

Gorka: Durch Mitwirkung, Gestaltung von Besuchen in den Gedenkstätten und an historischen Orten, aber auch durch die Einbringung von Ideen für die diversen Kampagnen. Es ist wichtig, junge Menschen aktiv einzubinden und ihnen Räume zu geben, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen und eigene Fragen zu stellen.

Was ich aus der heutigen Gedenkfeier für meine weitere Arbeit im Sprengel Lüneburg mitnehme? Dieser und ähnliche Orte sind in unser Sprengel-Bewusstsein zu bringen oder dort zu bewahren. Ich freue mich zum Beispiel, dass das Vorbereitungs-Team der nächsten Diakon:innen-Konferenz 2026 plant, etwas zur Demokratie-Förderung zu machen und die Konferenz, wenn möglich, direkt in der Gedenkstätte Bergen-Belsen stattfinden zu lassen. So stellen wir uns dem Ort und bringen ihn zusammen mit heutigen Fragestellungen und Überlegungen. Im Angesicht der Geschichte, die sich mit dem Ort verbindet, wird dies sicher noch mal ein anderes Nachdenken werden.

„Die lange Schweigeminute – jede:r für sich und doch alle gemeinsam. Das macht etwas mit einem.“

Gab es während der Gedenkfeier einen Moment, der Sie besonders berührt oder nachdenklich gemacht hat?

Gorka: Drei Momente haben mich besonders berührt: Erstens die besondere, durchmischte Atmosphäre – angemessene Ernsthaftigkeit neben gelöster, entspannter Stimmung im Gewirr der Sprachen, weil Menschen aus aller Welt sich dort versammelten, Jung und Alt. Und sie alle eint dasselbe Anliegen, die Erinnerung zu bewahren, sich auf Frieden, Menschenwürde, Freiheitsachtung zu verständigen.

Zweitens das Gedenken am Jüdischen Mahnmal, bei dem das El Male Rachamim, das jüdische Gebet für Verstorbene, von einer einzelnen Stimme ohne Begleitung gesungen wurde und über das gesamte Gelände hallte. Es hat mich sehr berührt, diese Stimme jüdischen Lebens, jüdischer Liturgie hier über diesem Ort laut werden zu lassen. Die „Hölle auf Erden“ darf nicht das letzte Wort behalten. Sondern wir bitten um Seelenruhe und Seelenfrieden, um Gottes Erbarmen.

Und schließlich die lange Schweigeminute im Rahmen des jüdischen Gedenkens, eingerahmt von Trompeten-Signalen. Wenn eine so riesige, wimmelnde Menschensammlung auf einmal ganz still, minutenlang in angemessenes Schweigen verfällt – jede:r für sich und doch alle gemeinsam. Das macht etwas mit einem.

„Ich bin dankbar dafür, in Gott einen Gesprächspartner zu haben.“

Wie gehen Sie persönlich mit den Emotionen um, die bei einem solchen Anlass aufkommen? Inwieweit hilft Ihnen der Glaube dabei?

Gorka: Ich spüre ich eine große Dankbarkeit dafür, dass wir als Menschen all das, was uns bewegt, in unser Leben integrieren dürfen – auch dort, wo wir an unsere Grenzen kommen. Gerade in solchen Momenten, in denen ich nicht mehr weiterweiß oder meine Gefühle kaum fassen kann, ist es für mich eine große Stärke, dass ich mein Unvermögen und meine Ratlosigkeit vor Gott bringen darf. Das Gebet spielt dabei eine zentrale Rolle: Es trägt mich, besonders wenn mir selbst die Worte fehlen und ich spüre, dass auch andere für uns alle beten. Und manchmal ist es auch einfach gut, wenn gar nichts gesagt wird – wenn Stille Raum bekommt und jeder für sich einen Moment innehalten kann. Auch das darf sein.

Für mich ist es tröstlich zu wissen, dass ich immer mit Gott verbunden bin. Das gibt mir Kraft und Halt, besonders in solchen bewegenden Situationen. Und wenn ich an die Erinnerungskultur in Deutschland und Europa denke, gerade angesichts der aktuellen Herausforderungen, dann wünsche ich mir, dass wir nie vergessen: Auch wenn wir uns manchmal allein fühlen, sind wir es nicht. Es gibt viele Menschen, die sich eine friedliche Welt wünschen und gemeinsam dafür einstehen, dass sich ein solches Grauen nie wiederholt. Solche Veranstaltungen machen das sichtbar und schenken Hoffnung – sie zeigen, dass wir mehr sind, als wir oft denken, und dass diese Gemeinschaft immer wieder neu zusammenfinden muss.

Ich habe das übrigens auch am Rande der Trauerfeier für den Papst beobachtet: Da sitzen Staatsoberhäupter aus aller Welt nebeneinander, Menschen, die in vielem nicht übereinstimmen, und doch bringt ein solcher Anlass sie zusammen. Selbst zwischen Menschen, die politisch weit auseinanderliegen, kommt es zu Begegnungen – wie etwa zwischen Selenskyj und Trump. Das ist für mich auch eine Aufgabe der Kirche: Menschen immer wieder zusammenzubringen, Brücken zu bauen, auch wenn es manchmal nur am Rande großer Ereignisse geschieht. Davor habe ich großen Respekt – und ich sehe darin unsere Verantwortung, Anlässe der Begegnung und des Miteinanders zu schaffen.

„Für mich ist Hoffnung ohne Erinnerung wie Erinnerung ohne Hoffnung.“

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Erinnerungskultur in Deutschland und Europa?

Gorka: Dass uns solches Erinnern nicht verloren geht. Es wird schwieriger, weil die Zeitzeuginnen und -zeugen weniger werden und auch die Akzeptanz einer solchen Kultur, die sich bewusst auch an Schreckensereignisse erinnert, scheint abzunehmen. Aber diese Kultur muss uns bewahrt bleiben, weil wir daraus Lehren ziehen für unsere Gegenwart und für die Zukunft unserer Staatengemeinschaft, die zuallererst ein großes Friedensprojekt war und ist. Eine der Rednerinnen, die im Displaced Persons Camp Bergen-Belsen geborene Debbie Morag, hat Elie Wiesel zitiert: „Wenn überhaupt etwas dazu in der Lage ist, die Menschheit zu retten, dann ist es Erinnerung. Für mich ist Hoffnung ohne Erinnerung wie Erinnerung ohne Hoffnung.“ Das trifft es genau.

Albrecht Weinberg über seine Befreiung in Bergen-Belsen 1945

Foto: epd

Albrecht Weinberg kann sich an seine Befreiung am 15. April 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen kaum noch erinnern. Er sagt, er war damals zu "99 Prozent ein Toter". Er wurde 1925 als Sohn jüdischer Eltern geboren. Er wuchs im ostfriesischen Rhauderfehn auf. Nach dem Krieg ging er nach New York. 2012 zog er zurück in seine alte Heimat. Viele lebende Zeitzeugen von damals gibt es nicht mehr. Eine Überlebende des KZ Bergen-Belsen ist die Ukrainerin Anastasia Gulej. Sie musste jetzt aus Kiew fliehen - ausgerechnet nach Deutschland.

Sehen Sie sich dieses eindrucksvolle Video mit ihm an. (Quelle: epd)

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Gedanken zu einigen Reden auf der Gedenkveranstaltung

Nachdenklich machten Marianne Gorka insbesondere die Worte des italienischen Autoren Primo Levi: „Es ist geschehen, und kann daher immer wieder geschehen.“ Sie sind Mahnung und Auftrag zugleich. Sie erinnern uns daran, dass das Grauen der Shoah kein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte ist, sondern eine reale Gefahr bleibt, wenn wir nicht wachsam sind. Gerade weil die Zeitzeugen weniger werden, wird das Gedenken schwieriger – und umso wichtiger. 

Es ist kein Akt der Vergangenheit, sondern ein Zeichen der Verantwortung für Gegenwart und Zukunft. Antisemitismus hat heute viele Gesichter, oft versteckt und subtil, wie auch der israelische Botschafter in seiner Rede betonte. Darum genügt es nicht, neutral zu bleiben: „Die heißesten Plätze in der Hölle sind für die, die neutral bleiben wollen“, wie Dante zugeschrieben wird. Neutralität ist in Zeiten moralischer Krise keine Option – das gilt besonders für Kirche und Gesellschaft, die sich klar positionieren und einmischen müssen.