„Hier ist die Kirche ist ein Ort für alle Menschen“

Pastorin Paulina Pacholak über ihren Weg von Warschau nach Gifhorn, die Freiheit evangelischer Theologie und den Mut, Neues auszuprobieren

Am 5. Juli 2025 wurde Paulina Pacholak in Gifhorn von Regionalbischöfin Marianne Gorka ordiniert – als eine der wenigen Pastorinnen polnischer Herkunft in der Landeskirche Hannovers. In Polen ist die Mehrheit katholisch, Frauenordination in der evangelischen Kirche sind dort erst seit Kurzem möglich. Im Gespräch erzählt sie, was sie an ihrem Beruf begeistert, warum sie in Leipzig Theologie studiert hat und wie sie ihre Prägung aus Polen in die Arbeit vor Ort einbringt.

Frau Pacholak, warum haben Sie sich entschieden, in Polen evangelische Theologie zu studieren – vor allem vor dem Hintergrund, dass die meisten Polinnen und Polen katholisch sind?

Pacholak: Mir waren Individualismus und Selbstverantwortung wichtig. In der evangelischen Theologie liegt der Schwerpunkt nicht auf einzelnen Führungspersonen, sondern auf allen Menschen. Auch der intellektuelle Teil der Konfession hat mich unglaublich angesprochen. Über das Erasmus-Programm bin ich dann nach Leipzig gekommen – es war spannend, in einem anderen Land zu leben, eine neue Kultur kennenzulernen und mit Menschen aus verschiedenen Hintergründen zu studieren. In Warschau haben mit mir nur etwa zwanzig Personen evangelische Theologie studiert, in Leipzig waren es plötzlich 200.

Warum haben Sie sich für Leipzig entschieden?

Pacholak: Leipzig hat ein größeres Studienangebot und eine große theologische Bibliothek. Außerdem hat es mich gereizt, Theologie in der Sprache Martin Luthers zu studieren. Es war keine leichte Entscheidung, in Deutschland zu bleiben – Heimat bleibt eben Heimat. Aber ich wollte unbedingt Pastorin werden und habe versucht, den Weg ins Vikariat zu schaffen. Bis 2022 gab es in Polen keine Frauenordination, deshalb war das hier ein wichtiger Schritt für mich. Natürlich war es auch eine Herausforderung, mich in einer fremden Sprache und Kultur zurechtzufinden.

Was schätzen Sie besonders an der evangelischen Kirche in Deutschland?

Pacholak: Die Freiheit, das Gemeindeleben zu gestalten. Die Menschen sind offen für neue Gottesdienstformate, für Experimente und denken liberal. Diese Offenheit und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, empfinde ich als große Stärke.

Inwiefern hilft Ihnen Ihr polnischer Hintergrund bei Ihrer Arbeit als Pastorin?

Pacholak: Er hilft mir besonders bei den Warum-Fragen – ich kann andere Perspektiven einbringen und entdecke selbst immer wieder Neues. Zum Beispiel ist der Segensbegriff hier sehr groß, das kannte ich so aus Polen nicht. Ich habe Lust und Mut, hier neue Dinge auszuprobieren: Beichtgottesdienste in der Passionszeit oder Gespräche über Schuld und Sünde, nicht nur über schöne Themen. Besonders gern arbeite ich in kleinen Gruppen, weil man sich dort besser kennenlernen, Vertrauen aufbauen und über tiefere Themen ins Gespräch kommen kann. Es ist mir wichtig, Taufen, Trauungen oder Beerdigungen so zu gestalten, dass sie für Menschen ansprechend sind, die selten in die Kirche kommen. Ich begleite auch Senioren und Konfirmandinnen und freue mich auf die Seelsorgearbeit und natürlich die Gottesdienste.

"Die Kirche vereint alle Elemente meiner Traumarbeit: die Vielfalt der Aufgaben, die Begegnung mit Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen und das gemeinsame Entdecken von Perspektiven."

Pastorin Paulina Pacholak

Wie haben Sie Ihre Ordination erlebt?

Pacholak: Es war unglaublich – ich habe viele Jahre auf diesen Moment gewartet. Und es war schön, durch eine Frau ordiniert zu werden. Das ist in vielen Ländern und Religionen nicht selbstverständlich. Die Mischung aus alten Ritualen wie eben die Ordination – dann noch in dieser Barockkirche, in der so viele Männer ordiniert wurden – und der Moderne, dass Frauen selbstverständlich Pastorinnen sind, hat mich sehr bewegt. Dass Freunde, Familie und Theologie-Kommilitonen aus Polen extra angereist waren, hat diesen Tag noch besonderer gemacht.

Was motiviert Sie in Ihrer Arbeit?

Pacholak: Die Kirche vereint alle Elemente meiner Traumarbeit: die Vielfalt der Aufgaben, die Begegnung mit Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen und das gemeinsame Entdecken von Perspektiven. Ich möchte, dass Menschen sich gesehen fühlen – egal ob bei einer Taufe, Trauung oder Beerdigung. Ich bin überzeugt, dass die Kirche ein Ort für alle ist, an dem kein Platz ist für Hass oder Ausgrenzung, sondern für die Liebe Gottes zu jedem Menschen – unabhängig von Herkunft, Sprache oder sexueller Orientierung. Das erfüllt mich mit Freude und Stolz.

Bedeutung der evangelischen Kirche in Polen im Vergleich zur katholischen Kirche

Die religiöse Landschaft Polens wird seit Jahrhunderten von der katholischen Kirche geprägt. Mit etwa 33 Millionen Mitgliedern stellt sie über 85 Prozent der Bevölkerung und ist tief in Gesellschaft, Politik und Kultur verankert. Die katholische Kirche gilt als Bewahrerin der nationalen Identität, insbesondere während der Teilungen Polens und der kommunistischen Herrschaft. Sie besitzt großen Einfluss im Bildungs- und Sozialwesen und ist nach dem Staat der zweitgrößte Immobilieneigentümer des Landes.

Demgegenüber ist die evangelische Kirche, vor allem die Evangelisch-Augsburgische Kirche, eine kleine Minderheit mit rund 65.000 bis 70.000 Mitgliedern (ca. 0,17 Prozent der Bevölkerung). Historisch hatte der Protestantismus im 16. und 17. Jahrhundert eine größere Bedeutung, verlor aber durch Gegenreformation, Kriege und Auswanderung an Einfluss. Heute ist die evangelische Kirche vor allem in Schlesien präsent. Sie engagiert sich stark im ökumenischen Dialog, setzt sich für Toleranz und Gleichberechtigung ein und ist Vorreiter bei der Ordination von Frauen im geistlichen Amt – ein Zeichen gesellschaftlicher Offenheit, das sie von der katholischen Kirche unterscheidet.

Während die katholische Kirche das öffentliche Leben dominiert, steht die evangelische Kirche für religiöse Vielfalt, Minderheitenschutz und interkonfessionellen Austausch in Polen.

Kirchenkreis Gifhorn

Der Kirchenkreis Gifhorn ist Teil der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und gehört zum Sprengel Lüneburg. Er umfasst große Teile des Landkreises Gifhorn sowie angrenzende Gebiete in Niedersachsen. Die Superintendentur befindet sich in Gifhorn. Gegründet wurde die Inspektion Gifhorn bereits 1534. 

Im Jahr 1924 erfolgte die Umbenennung in Kirchenkreis Gifhorn. Im Laufe der Geschichte veränderte sich der Zuschnitt mehrfach durch Ausgliederungen und Eingliederungen von Kirchengemeinden. Heute engagiert sich der Kirchenkreis in kirchlicher, sozialer und kultureller Arbeit und prägt das religiöse Leben der Region maßgeblich.

Der Kirchenkreis Gifhorn zählt nach eigenen Angaben zum Stichtag 31. Dezember 2021 insgesamt 51.635 Kirchenmitglieder.

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