Wie soziale Medien die kirchliche Jugendarbeit verändern

Social Media in der kirchlichen Jugendarbeit: Chancen, Risiken und Strategien

Die Digitalisierung prägt das Kommunikationsverhalten junger Menschen grundlegend. Soziale Medien sind längst nicht mehr nur ein Freizeitphänomen, sondern ein zentraler Bestandteil ihres Alltags – mit weitreichenden Auswirkungen auf Identitätsbildung, soziale Beziehungen und Informationsverarbeitung. Auch die kirchliche Jugendarbeit steht vor der Herausforderung, ihren Platz in diesen digitalen Räumen zu finden. Ist Social Media eine Brücke zwischen Kirche und Jugend oder ein fragwürdiges Spielfeld kommerzieller Algorithmen?

Digitale Lebenswelten: Wo und wie Jugendliche online unterwegs sind

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Laut der aktuellen JIM-Studie 2024 nutzen 94 Prozent der Jugendlichen regelmäßig WhatsApp, 81 Prozent YouTube, 72 Prozent TikTok, 62–82 Prozent Instagram und 66 Prozent Snapchat. Während Facebook in dieser Altersgruppe kaum noch eine Rolle spielt, gewinnen Plattformen wie Discord und Twitch zunehmend an Bedeutung.

Die durchschnittliche tägliche Nutzungsdauer von Social Media bei Jugendlichen liegt laut ARD/ZDF-Online-Studie 2024 bei etwa 204 Minuten. Besonders intensive Nutzung zeigt sich bei TikTok, wo junge Menschen täglich über 90 Minuten verbringen. Dabei konsumieren sie nicht nur Inhalte, sondern interagieren aktiv durch Likes, Kommentare oder das Erstellen eigener Beiträge.
 

Zwischen Verkündigung und Vernetzung: Chancen für die Kirche

Der Trend ist eindeutig: Visuelle Inhalte mit hoher Interaktionsrate dominieren die digitale Jugendkultur. YouTube wird nicht nur zur Unterhaltung genutzt, sondern zunehmend auch als Informationsquelle. 96 Prozent der 14- bis 29-Jährigen schauen mindestens einmal pro Woche Videos oder Livestreams auf YouTube, TikTok oder Instagram. Doch was bedeutet das für kirchliche Akteure?

Glaube in Echtzeit: Social Media ermöglicht kirchlichen Gruppen eine direkte und authentische Kommunikation mit Jugendlichen. Somit kann Glaubensvermittlung quasi in Echtzeit stattfinden. Die digitale Interaktion kann neue Formen der Gemeinschaft schaffen, unabhängig von geographischen oder institutionellen Grenzen.

Glaube und Spiritualität müssen sich nicht auf den physischen Kirchenraum beschränken. Plattformen wie Instagram oder TikTok bieten die Möglichkeit, religiöse Inhalte in der Sprache und Ästhetik der Jugendlichen zu vermitteln – sei es durch Kurzvideos, Story-Impulse oder interaktive Formate.

Dabei ermöglichen die Plattformen auch eine niedrigschwellige Partizipation, denn Jugendliche können sich mit eigenen Beiträgen aktiv einbringen, Fragen stellen oder an Online-Diskussionen teilnehmen. Partizipation auf Augenhöhe fördert Identifikation und Zugehörigkeitsgefühl. In einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest gaben 78 Prozent der Jugendlichen an, dass ihnen Social Media hilft, Gleichgesinnte zu finden und sich mit anderen auszutauschen.

Die dunkle Seite der digitalen Welt: Risiken und Herausforderungen

Doch wo Chancen sind, gibt es auch Herausforderungen – von der algorithmischen Steuerung der Inhalte bis hin zu ethischen Fragen der Selbstdarstellung und Identitätsbildung.

Die Nutzung sozialer Medien in kirchlichen Kontexten erfordert ein besonderes Bewusstsein für Datenschutz. Kirchliche Akteure müssen klären, welche Plattformen sie verantwortungsvoll nutzen können. Ist WhatsApp als Kommunikationskanal mit Jugendlichen vertretbar? Sind Alternativen wie Signal oder Threema praktikabel? Einige Landeskirchen empfehlen mittlerweile, WhatsApp für dienstliche Zwecke zu meiden.

Es ist bereits erforscht, dass die Nutzung sozialer Medien auch psychosoziale Auswirkungen hat. Social Media ist kein neutraler Raum. Studien zeigen, dass Plattformen wie Instagram und TikTok das Selbstwertgefühl von Jugendlichen beeinflussen können – oft negativ. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO zeigen 11 Prozent der Jugendlichen Anzeichen eines problematischen Social-Media-Verhaltens, mit einer höheren Betroffenheit bei Mädchen (13 Prozent) als bei Jungen (9 Prozent). Der permanente Vergleich mit inszenierten Idealbildern fördert Unsicherheiten und kann psychische Belastungen wie Angstzustände oder Depressionen verstärken.

Nicht zu unterschätzen ist zudem die algorithmische Manipulation: Inhalte, die Emotionen wie Wut oder Empörung auslösen, werden von den Plattformen bevorzugt ausgespielt. Das kann problematisch sein, wenn Jugendliche in Echokammern oder Filterblasen geraten. Besonders problematisch ist dies auf TikTok, dessen Algorithmus Inhalte extrem personalisiert und schnell in Richtung radikaler Meinungen lenken kann. Kirchliche Jugendarbeit muss daher auch Medienkompetenz fördern und einen reflektierten Umgang mit sozialen Netzwerken vermitteln.

Strategien für eine sinnvolle Nutzung in der kirchlichen Jugendarbeit

1. Klare Zielsetzung statt blinder Aktionismus: Kirchen und Gemeinden sollten sich vorab fragen: Welche Botschaft wollen wir vermitteln? Wen wollen wir erreichen? Welche Formate eignen sich für unsere Inhalte?

2. Authentizität vor Perfektion: Jugendliche schätzen echte, nahbare Inhalte mehr als perfekt produzierte Hochglanzvideos. Selbst kurze, spontan aufgenommene Clips können mehr Wirkung erzielen als aufwendig inszenierte Kampagnen.

3. Interaktive Formate fördern die Beteiligung: Live-Sessions, Fragerunden oder Challenges animieren Jugendliche zur aktiven Teilnahme. Besonders effektiv ist es, wenn sie selbst Inhalte gestalten und verbreiten können.

4. Netzwerke und Kooperationen nutzen: Gemeinsame Hashtags, Cross-Posting mit anderen kirchlichen Initiativen oder der Austausch über Social-Media-Gruppen können helfen, Reichweite und Wirkung zu erhöhen. Ein einheitlicher Hashtag, wie etwa #JugendKircheLüneburg, kann die Auffindbarkeit von Beiträgen verbessern.

5. Verantwortung übernehmen: Kirchliche Social-Media-Präsenzen sollten mit ethischem Bewusstsein betrieben werden. Das bedeutet, problematische Inhalte kritisch zu hinterfragen, Desinformation entgegenzuwirken und Jugendliche vor potenziellen Risiken zu schützen.

6. Datenschutzgerechte Kommunikation: Wo möglich, sollten datenschutzfreundliche Messenger wie Signal oder Threema genutzt werden. WhatsApp-Gruppen können zwar effektiv sein, sollten aber mit klaren Richtlinien versehen sein. Bei Jugendlichen unter 16 Jahren sollte das Einverständnis der Eltern eingeholt werden.

Die Kirche als digitale Akteurin

Die Frage ist nicht mehr, ob Kirche Social Media nutzen sollte, sondern wie sie es sinnvoll und reflektiert tun kann. Die digitale Welt ist ein Missionsfeld der besonderen Art – voller Chancen, aber auch voller Herausforderungen. Wenn es gelingt, Social Media als Raum für Dialog, Gemeinschaft und Inspiration zu gestalten, kann die Kirche auch in der vernetzten Lebenswelt junger Menschen relevant bleiben.

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache, nämlich dass Social Media aus der Lebensrealität der Jugendlichen nicht mehr wegzudenken ist. Die Herausforderung für die kirchliche Jugendarbeit besteht darin, die digitalen Plattformen nicht nur als Kanal zur Informationsvermittlung zu sehen, sondern als interaktive Räume, in denen Glaube erfahrbar wird. Ein strategischer, aber auch kritischer Einsatz ist der Schlüssel, um diese Chance nicht ungenutzt zu lassen.

Datenschutz und Privatsphäre bei der Nutzung von WhatsApp

Viele Haupt- und Ehrenamtliche in der kirchlichen Jugendarbeit nutzen WhatsApp als Kommunikationskanal mit Jugendlichen. müssen zwischen der Erreichbarkeit der Jugendlichen und dem Datenschutz abwägen. Wenn WhatsApp der einzige effektive Kommunikationskanal ist, kann die Nutzung gerechtfertigt sein, um den Kontakt zu halten.

  • Die Nutzung von WhatsApp ist datenschutzrechtlich bedenklich, aber nicht generell verboten.
  • Es besteht ein Spannungsfeld zwischen effektiver Kommunikation mit Jugendlichen und Datenschutzanforderungen.
  • Einige Behörden und Einrichtungen untersagen ihren Mitarbeiter:innen die dienstliche WhatsApp-Nutzung aus Datenschutzgründen.

Empfehlungen für die Nutzung von WhatsApp in der Kommunikation mit Jugendlichen:

  • WhatsApp-Kanal (nicht Gruppe) einrichten: 
    Im „Aktuelles“-Tab der App erscheinen Inhalte, die sich besonders für eine breite, einseitige Kommunikation wie Ankündigungen oder Updates eignen. Diese Beiträge sind zeitlich begrenzt und werden nach 30 Tagen automatisch gelöscht.
  • Broadcast-Liste nutzen: Bei einer Broadcast-Liste gibt es keine offene Kommunikation zwischen allen Empfängern, die Anzahl ist auf maximal 256 begrenzt. Die Empfänger erfahren nicht, dass sie Teil der Liste sind, da die Nachrichten nur im privaten Chat erscheinen. Zudem werden keine Kontaktdaten untereinander geteilt, sodass die Kommunikation ausschließlich einseitig bleibt.

Das Problem mit dem Algorithmus

Foto: sefa ozel von Getty Images

Algorithmen können zu einer verzerrten Selbstwahrnehmung führen, da Jugendliche die kuratierten Inhalte als genaues Abbild ihrer Persönlichkeit betrachten.

Es entsteht eine "Feedback-Schleife", in der Jugendliche die algorithmisch ausgewählten Inhalte als Bestätigung ihrer Identität sehen.
Risiken: Verbreitung von Fehlinformationen, Entstehung von Filterblasen.

Beratung zum Thema

Sie arbeiten innerhalb des Sprengels Lüneburg mit Jugendlichen zusammen und benötigen Beratung zum Thema Social Media? Dann melden Sie sich gern!

Anne-Katrin Schwanitz
Tel.: 04131 707422