Bachs Johannes-Passion: Ein musikalisches Wunder zwischen Stille und Dramatik

Kirchenkreis-Kantor Henning Voss über die Kraft und Dramatik von Bachs Musikstück

Am 30. März um 18 Uhr erklingt in der Michaeliskirche Lüneburg die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach. Kirchenkreis-Kantor Henning Voss bereitet derzeit gemeinsam mit der Kantorei St. Michaelis und dem Ensemble Reflektor eine Aufführung vor, die nicht nur musikalisch berührt, sondern auch emotional anrühren soll. Im Gespräch erläutert Voss, was diese Passion so besonders macht und warum Bachs Musik auch heute noch so unmittelbar ans Herz geht.

Was macht die Musik Bachs so zeitlos und berührend? Für Henning Voss bleibt dies letztlich ein Geheimnis: "Wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, es bleibt ein Wunder, denn letztendlich dringen nur Schallwellen auf unsere Ohren und dass die dann direkt in unsere Seele dringen, wie das genau funktioniert, kann man nicht sagen."

Dennoch hat er eine klare Vorstellung davon, warum gerade die Johannes-Passion so intensiv wirkt: "Bach erschafft eine Musik, die zum einen sehr bildmächtig ist und sich zum anderen vieler Ausdrucksformen bedient, die auch heute noch sehr gut wirken und uns erreichen."

"Wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, es bleibt ein Wunder, denn letztendlich dringen nur Schallwellen auf unsere Ohren und dass die dann direkt in unsere Seele dringen, wie das genau funktioniert, kann man nicht sagen."

Henning Voss, Kirchenkreis-Kantor Lüneburg

Moderne Instrumente treffen auf barocke Klangwelten

Die Vielfalt der Emotionen sei dabei entscheidend – von schlichten Chorälen bis hin zu aufgewühlten Volkschören.

Eine Besonderheit der diesjährigen Aufführung ist die Zusammenarbeit mit dem Ensemble Reflektor. Dieses Orchester spielt im Gegensatz zur üblichen Praxis auf modernen Instrumenten. Für Voss ist dies eine spannende Erfahrung: "Bisher war es für mich selbstverständlich, Barockmusik mit historischen Instrumenten oder Repliken aufzuführen. Aber das Ensemble Reflektor entfaltet eine derartige Dynamik beim Spiel, dass ich glaube, dass das eine ganz wunderbare Zusammenarbeit werden wird."

Es ist vor allem diese Dynamik, die dazu führen könne, dass Kantorei und Orchester gemeinsam "eine sehr bewegende Interpretation" schaffen werden.

Drei Rollen des Chores – Herausforderung und Chance

Für den Chor bedeutet die Johannes-Passion eine große Herausforderung. Laut Voss übernimmt der Chor gleich drei unterschiedliche Rollen: Er gestaltet die großen Eckchöre wie den eindrucksvollen Eingangschor „Herr, unser Herrscher“, übernimmt innerhalb der Evangelientexte dramatische Gruppenszenen und tritt immer wieder als reflektierende Gemeinde an den Bühnenrand: "Diese drei Rollen muss der Chor möglichst intensiv und beseelt wahrnehmen."

"Es geht darum, dass der Chor lernt, in den Ausdruck der Musik hineinzugelangen."

Henning Voss

Die Vorbereitung sei daher nicht nur technisch anspruchsvoll, sondern verlange auch eine intensive emotionale Auseinandersetzung: "Es geht darum, dass der Chor lernt, in den Ausdruck der Musik hineinzugelangen“, so der Kirchenkreis-Kantor.

Die Textvertonung in der Johannes-Passion erfordert dabei eine intensive Auseinandersetzung mit dem biblischen Inhalt. "Die Musik lässt uns den Schmerz, die Dramatik und auch die Hoffnung der Passion Jesu auf intensive Weise erleben. Gerade der Eröffnungschor Herr, unser Herrscher zieht das Publikum sofort in die Handlung hinein."

Dramaturgische Raffinesse – Zentrum im Auge des Sturms

Die Johannes-Passion folgt einer ausgeklügelten Dramaturgie. Zentral steht ein stiller Choral als Herzstück des Werkes – ein Moment intensiver Innerlichkeit. Um dieses ganz stille Zentrum herum sind die Chöre symmetrisch aufgebaut. Das lenkt den Fokus wirklich auf diesen Choral. Gerade dieser Kontrast zwischen stiller Innerlichkeit und dramatischer Erregtheit mache das Werk so eindrucksvoll, ist Voss überzeugt.

Was viele nicht wissen: Heutige Aufführungen unterscheiden sich stark von denen zu Bachs Zeiten. Während damals kleine Ensembles üblich waren, stehen nun rund 145 Sängerinnen und Sänger auf der Bühne: "Das trägt dazu bei, dass man insbesondere die Volkschöre wirklich als Massenerlebnis erleben kann“, so der Musikexperte. 

Trotz dieser Unterschiede betrachtet Voss auch heutige Konzertaufführungen als Erfahrung im Sinne der Verkündigung von Gottes Wort: "Selbst wenn wir sie im Konzert singen, stellt dieses Konzert für mich eine Art Gottesdienst dar."

"Jedes Mal entdecke ich neue Dinge an dieser Musik. Sie ist so ausdrucksstark und komplex, dass sie immer neue Entdeckungen zulässt."

Henning Voss

Matthäus vs. Johannes – Zwei Passionen im Vergleich

In diesem Jahr bietet sich in Lüneburg sogar die Gelegenheit, beide große Passionen Bachs zu erleben: Neben der Johannes-Passion erklingt am Karfreitag in St. Johannes auch die Matthäuspassion. Nach dem Unterschied dieser beiden Bach-Werke befragt, erläutert Voss: "Die Matthäuspassion ist größer dimensioniert und nimmt sich wesentlich mehr Zeit in den Arien. In ihr steht der leidende Mensch Jesus im Mittelpunkt. Die Johannes-Passion dagegen zeigt Jesus eher als Vollstrecker des göttlichen Heilsplanes." Insbesondere diese kompakte Dramatik mache die Johannes-Passion besonders intensiv.

Immer wieder neu – Keine Routine bei Bach

Obwohl Henning Voss bereits an zahlreichen Aufführungen beteiligt war – als Sänger wie auch als Dirigent –, stellt sich für ihn nie Routine ein: "Jedes Mal entdecke ich neue Dinge an dieser Musik. Sie ist so ausdrucksstark und komplex, dass sie immer neue Entdeckungen zulässt."

So dürfen sich Besucherinnen und Besucher am 30. März auf eine Aufführung freuen, die nicht nur musikalisch überzeugt, sondern auch emotional tief berührt – dank einer intensiven Vorbereitung und einer außergewöhnlichen Zusammenarbeit zwischen Kantorei St. Michaelis und Ensemble Reflektor unter Leitung von Henning Voss.

Über Henning Voss

Henning Voss ist seit 2009 als Kirchenmusiker an der St. Michaeliskirche in Lüneburg sowie als Kirchenkreiskantor für den Kirchenkreis Lüneburg tätig. 

In dieser Funktion leitet er die Kantorei St. Michaelis, einen der größten Chöre Norddeutschlands mit etwa 150 Mitgliedern, sowie den Kammerchor St. Michaelis, der sich auf anspruchsvolle A-cappella-Musik spezialisiert hat. 

Neben seiner Tätigkeit als Chorleiter engagiert sich Voss in der Ausbildung nebenberuflicher Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker im Kirchenkreis Lüneburg, indem er den sogenannten C-Kurs leitet. 

Zudem ist er Gründungsmitglied des Hamburger Vokalquintetts Himlische Cantorey und hat an zahlreichen Rundfunk- und CD-Produktionen mitgewirkt. 

Unter der Leitung von Henning Voss wurde der Kammerchor St. Michaelis im Jahr 2009 mit dem zweiten Preis beim Niedersächsischen Landeschorwettbewerb ausgezeichnet. 

Seine Arbeit zeichnet sich durch eine tiefe Auseinandersetzung mit der Musik Johann Sebastian Bachs aus, die er als von "einer derartigen, sonst kaum irgendwo erreichten Tiefe, Intensität und Schönheit" beschreibt.

Interview mit Henning Voss

Ein musikalisches Meisterwerk, das bis heute unter die Haut geht: Kirchenkreis-Kantor Henning Voss spricht über die emotionale Kraft von Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion. In diesem besonderen Interview gewährt er tiefgehende Einblicke in die musikalische Dramaturgie, die berührenden Choräle und die intensive Ausdruckskraft dieses außergewöhnlichen Werkes.

  • Warum zieht uns diese Musik bis heute in ihren Bann?
  • Was macht die stillen Choräle und ergreifenden Arien so bewegend?
  • Wie bringt das Ensemble Reflektor eine neue klangliche Dimension in die Aufführung?

Erlebt die Leidenschaft und das tiefe Verständnis eines Musikers, der sich mit Hingabe der Interpretation von Bachs Werk widmet. Ein Interview, das nicht nur Musikliebhaber:innen begeistert, sondern auch die Faszination klassischer Kirchenmusik neu erlebbar macht.

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Kartenverkauf

Wann: Sonntag, 30. März 2025, 18 Uhr
Wo: St. Michaelis-Kirche, Lüneburg

Mitwirkende:
•    Marie Luise Werneburg (Sopran)
•    Anne Bierwirth (Alt)
•    Andreas Post (Tenor, Evangelist)
•    Anton Haupt (Bass)
•    Matthias Vieweg (Bass, Christus)
•    Kantorei St. Michaelis
•    Jugendchor St. Michaelis
•    ensemble reflektor
•    Leitung: Henning Voss

Eintrittspreise: 36 / 28 / 22 / 16 / 6 Euro
ermäßigt: 24 / 19 / 15 / 11 / 4 Euro
Vorverkauf: seit 14. Februar online unter www.sankt-michaelis.de und bei LZ Tickets

Abendkasse: ab 17 Uhr geöffnet

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