Der Sound der Ewigkeit: Was Giuseppe Verdis "Requiem" so einzigartig macht

Wenn sich am Vorabend des Totensonntags die Türen der St. Johanniskirche in Lüneburg öffnen, weht ein Hauch italienischer Dramatik durch die ehrwürdigen Mauern. Kirchenmusikdirektor Dr. Ulf Wellner, der das monumentale Requiem von Giuseppe Verdi am 22. November leitet, verspricht eine emotionale Reise durch die ganze Palette menschlicher Gefühle – von Trauer und Trost bis zu Freude und Hoffnung.

„Am Ende des Kirchenjahres geht es immer um das große Thema: Sterben, ewiges Leben, Trost, auch Trauer, auch Freude“, betont Dr. Ulf Wellner. Verdis Messa da Requiem gehört zu den großen Werken dieses Genres, anerkannt und geliebt, vergleichbar nur mit Mozarts und Brahms‘ Requien. Doch in Lüneburg habe Verdis Requiem lange nicht mehr auf dem Programm gestanden. „Es war einfach mal wieder dran – und es ist ein fantastisches Stück“, so Wellner.

Verdis Requiem ist kein stilles Gebet, sondern ein lebendiges, theatralisches Werk, das die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen auslotet. „Das Stück ist sehr italienisch“, sagt Ulf Wellner, „und genau das genießen wir ja sehr, dass wir verschiedene Stile, verschiedene Länder repräsentieren über die Jahre hinweg.“ Doch die italienische Herkunft ist nur ein Teil der Geschichte. Das Requiem ist vor allem ein Stück, das den Stoff selbst feiert: die Totenmesse als Ritual von Trauer, Hoffnung und Trost. 

Dramaturgische Highlights: Die Ferntrompeten

Besonders begeistert zeigt sich Wellner vom „dramaturgisch ungewöhnlichen Moment“ der Ferntrompeten im Dies irae. „Das hebt das Stück auch von anderen Requiem-Besetzungen ab“, erklärt er. In Lüneburg werden diese Trompeten auf der Empore der historischen Orgel platziert – ein Raumklang, der das Publikum direkt ins Zentrum des jüngsten Gerichts zieht. „Das gibt einen ganz besonderen Raumeffekt“, sagt Wellner. „Wir können das Gehäuse und die Frontpfeifen noch sehen, aber dahinter ist es schon sehr leer geworden. Und dort oben auf dieser Galerie werden dann die Ferntrompeten stehen.“

Die Kunst der Cantilene und der italienischen Gesanglichkeit

Wellner freut sich besonders auf die „großen Cantilenen, diese italienische Gesanglichkeit, die eben diese Musik wirklich auch abhebt von dem, sage ich mal, Normalbetrieb deutscher Oratorien“. Die Belcanto-Tradition, die Verdi in seinem Requiem zelebriert, ist für Wellner eine große Freude: „Diese große Belcanto-Tradition des Stückes zu zelebrieren, ist eine große Freude. Auch einfach dieses Gestalten aus dem Bauch heraus, Stimmungsmomente und besondere Atmosphären zu schaffen, wenn es mal gerade nicht um Kontrapunkt geht.“

„Weil es eine Totenmesse ist, gibt es eben kein Gloria. Auch das Credo gehört traditionell nicht zur Totenmesse. Dafür gibt es andere Textteile, die eben in der normalen Sonntagsmesse nicht enthalten sind.“

Dr. Ulf Wellner, Kirchenmusikdirektor im Sprengel Lüneburg

Trauer in der Musik: Zarte Streicher und dunkle Farben

Um Trauer in der Musik zu gestalten, setzt Verdi auf die Streicher: „Bei vielen Stellen lässt Verdi nur die Streicher spielen. Das ist eine sehr zarte, intime Farbe, die eben nicht durch die sehr viel intensiveren Bläser noch überlagert wird.“ Wellner beschreibt, wie Dämpfer bei den Streichern für einen „etwas distanzierteren, noch zarteren, silbrigeren Klang“ sorgen. „Und auch im Chor steht manchmal sogar dabei, es soll in dunkler Farbe und traurig gesungen werden. Und bei den Piano-Bezeichnungen, Piano heißt eigentlich schon leise, Pianissimo heißt sehr leise, geht Verdi bis zum fünffachen Piano. Also es soll wirklich bis an die Hörgrenze gehen.“

Keine Barrieren und Schranken im ökumenischen Denken

Das Requiem ist als Totenmesse eine Abwandlung des normalen Messablaufs mit Kyrie, Gloria, Credo. „Weil es eine Totenmesse ist, gibt es eben kein Gloria. Auch das Credo gehört traditionell nicht zur Totenmesse“, erklärt Wellner. „Dafür gibt es andere Textteile, die eben in der normalen Sonntagsmesse nicht enthalten sind.“ Die historische Abfolge des Requiems, die sich im Mittelalter entwickelt hat, wurde von Martin Luther nicht übernommen. „Deshalb gibt es eigentlich keine echte Tradition der Requiem-Vertonung in der evangelischen Kirche. Und heutzutage ist es zum Glück so, dass wir im ökumenischen Denken da keine Barrieren und Schranken haben, sondern dass wir seit langer Zeit schon katholische Messvertonungen selbstverständlich auch in einer evangelischen Kirche anbieten können.“

Wellner betont, dass jede:r Zuhörer:in einen eigenen Lieblingssatz im Requiem hat: „Das ist ganz individuell. Und das finde ich immer das Schöne, dass man von verschiedenen Leuten hört, dass man das gut und andere sagen, das ist mein Lieblingssatz. Insofern bleibt das jedem selbst überlassen, woran er sein Herz besonders hängt in diesem Stück.“

Die berühmte Zeichnung von Verdi, die Wellner als „ikonische Verbreitung“ beschreibt, zeigt eine faszinierende Persönlichkeit: „Und ich glaube, man sieht, was es für eine faszinierende Persönlichkeit war.“

Über Dr. Ulf Wellner

Dr. Ulf Wellner (*1977 in Hannover) ist ein renommierter deutscher Kirchenmusiker, Musikwissenschaftler und Dirigent. Seine musikalische Laufbahn begann im Knabenchor Hannover, wo er früh seine Leidenschaft für die Kirchenmusik entdeckte. Bereits als Schüler legte er die C-Prüfung für nebenamtliche Kirchenmusiker ab.

Sein Studium der Kirchenmusik absolvierte er an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, ergänzt durch ein Auslandssemester in Antwerpen bei Joris Verdin. 2003 schloss er sein Studium mit dem A-Examen ab. Nach weiteren Meisterkursen bei Ton Koopman und Andrea Marcon promovierte er 2008 mit einer Arbeit über Michael Praetorius zum Dr. phil.

Beruflich war Wellner an verschiedenen bedeutenden Kirchen tätig: Er leitete den Leipziger Universitätschor (2004–2005), war Kantor an St. Jacobi in Lübeck (2009–2013) und St. Martini in Minden (2013–2023). Seit Dezember 2023 ist er Kantor und Kirchenmusikdirektor an St. Johannis in Lüneburg sowie Fachaufsichtsleiter für Kirchenmusik im Sprengel Lüneburg der Landeskirche Hannovers.

Neben seiner Tätigkeit als Kantor ist Wellner ein gefragter Organist und Dirigent mit Konzertauftritten in Europa und den USA. Er arbeitet regelmäßig mit Ensembles wie Musica Fiata, La Capella Ducale und dem Barockorchester L’Arco zusammen. Zudem engagiert er sich als stellvertretender Vorsitzender der Michael-Praetorius-Gesellschaft und forscht zu Themen wie norddeutschem Barock und Johann Sebastian Bach.

Interview mit Dr. Ulf Wellner

Kirchenmusikdirektor Dr. Ulf Wellner nimmt uns im Gespräch mit hinein in die Welt dieses monumentalen Werkes – voller Emotion, Geschichte und klanglicher Überraschungen.

Er spricht darüber,
🎼 wie Verdi die gesamte Bandbreite menschlicher Gefühle hörbar macht,
🎺 warum die berühmten Ferntrompeten einen ganz besonderen Raumeffekt erzeugen,
🎻 wie Trauer musikalisch gestaltet wird – mit gedämpften Streichern, dunklen Farben und bis zu fünffachem Piano,
🇮🇹 was die italienische Belcanto-Tradition von der deutschen Oratorienkultur unterscheidet,
✝️ und wie ökumenisch Requiem-Vertonungen heute verstanden werden können.

Dazu erzählt er, warum das Werk trotz seiner Schwere auch Momente großer Freude enthält – und was ihn persönlich an dieser Musik am meisten berührt.

Ein Video voller musikalischer Hintergründe, überraschender Details und leidenschaftlicher Expertise.

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Requiem von Guiseppe Verdi

Wann: 22. November 2025, 19 Uhr

Ort: Kirche St. Johannis
Bei der St. Johanniskirche 2
21335 Lüneburg

Mitwirkende: Marchesini, Jurk, Dürmüller, Stiefermann, Kantorei St. Johannis u.a., Leitung: Dr. Ulf Wellner

Giuseppe Verdis Requiem ist mehr als ein musikalisches Werk – es ist ein Erlebnis, das die Zuhörer:innen in die Tiefe der menschlichen Seele führt. Mit seiner dramatischen Intensität, seiner zarten Trauer und seiner ekstatischen Freude ist es ein Stück, das die ganze Palette menschlicher Gefühle zu erleben und zu genießen bietet. 

Tickets (ab 12 Euro) und weitere Informationen: Hier klicken

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