Würdevoll bis zuletzt

Die Tobiasgemeinschaft in Lüneburg bestattet Menschen, die keine Angehörige mehr haben

Wer an einem kühlen Sonnabendmorgen an der Kapelle des Waldfriedhofs in Lüneburg vorbeikommt, wird Zeuge einer besonderen Zeremonie. Dort, wo die Tobiasgemeinschaft vierteljährlich Trauerfeiern abhält, stehen Ehrenamtliche nebeneinander und nehmen Abschied von Menschen, die sonst vielleicht „sang- und klanglos verschwinden“ würden.

Der Name der Gemeinschaft leitet sich vom Heiligen Tobias ab, dem Schutzpatron der Sterbenden und Kranken. Tobias steht symbolisch für Fürsorge, Begleitung und die bewusste Achtung jedes Lebens. Diese Werte prägen die Arbeit der Gemeinschaft, die niemanden ohne Würde gehen lässt.

Regionalbischöfin Marianne Gorka erinnert auf der letzten Mitgliederversammlung im Gottesdienst in ihrer Predigt an die Worte Jesu aus Markus 3,31-35, in der Jesus „seine Mutter und seine Brüder draußen stehen“ sieht und antwortet: „Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“

Diese neue, geistliche Familie steht im Zentrum der Tobiasgemeinschaft. Es geht um Menschen, die sich rufen lassen, um eine Gemeinschaft, die weit über Blutsverwandtschaft hinausgeht, die sich in der gelebten Nächstenliebe bewährt.

„Ich finde es ganz wichtig, dass Menschen, die früher oft sehr früh morgens und ohne Angehörige beigesetzt wurden, endlich eine würdige Verabschiedung bekommen.“

Erwin Rose, ehrenamtliches Mitglied der Tobiasgemeinschaft

Würdevolle Abschiede, spürbare Nähe

„Ich bin 2020 in die Tobias-Gemeinschaft eingetreten. Der Herr Schmeling hat mich angesprochen, weil ich auch in der Paulus-Gemeinde mitgearbeitet habe,“ sagt Ruheständler Erwin Rose. Für ihn ist es eine Herzensangelegenheit: „Ich finde es ganz wichtig, dass Menschen, die früher oft sehr früh morgens und ohne Angehörige beigesetzt wurden, endlich eine würdige Verabschiedung bekommen.“

Seit Gründung hat die Tobiasgemeinschaft 136 Urnen beigesetzt. In der Trauerhalle sieht man oft volle Reihen, doch manchmal sind es auch nur ganz wenige – „Menschen, die den oder die Verstorbene gar nicht kannten. Mir war gar nicht bewusst, wie viele Menschen in Lüneburg ganz alleine leben und ohne Verwandte sterben“. Dieses Wissen hat Rose bewegt, sich einzubringen.

„Früher wurden diese Menschen, ich sag es mal ganz krass, weggescharrt. Jetzt bekommen sie eine würdige Feier, angemessen dem Menschen, der sie waren.“ Das ist mehr als nur eine organisatorische Aufgabe, es ist gelebte Nächstenliebe und Anerkennung jedes Lebens.

Zwischen Bankkonto und Fürsorge

Die Gemeinschaft arbeitet rein auf Spendenbasis. Mit einem aktuellen Kontostand von etwa 13.000 Euro finanziert sie Grabstellen,

Traueranzeigen und die ehrenamtliche Arbeit. Pastorin Kristin Schauf und Pastor Martin Karras führen den Sprecherinnenrat und sorgen für frische Impulse. Öffentlichkeitsarbeit, Flyer und Presseberichte tragen dazu bei, dass das Projekt in der Stadt präsent bleibt und wächst.

Für das kommende Jahr plant die Tobiasgemeinschaft weitere Gespräche mit Bardowick, um auch Menschen, die im Hospiz versterben, würdevoll bestatten zu können. Die regelmäßigen Trauerfeiern sind fest terminiert für den 28. Februar, 30. Mai, 29. August und 28. November 2026. Zudem stehen Aktivitäten wie Urnentragetraining vor den Feiern und die Verteilung der Mitgliederliste per Mail auf der Agenda. Diese Maßnahmen fördern die Professionalität und Vertrautheit unter den Ehrenamtlichen.

"Doch diese kleine Schar löst eine Bewegung aus, die Nächstenliebe und Menschlichkeit lebendig macht."

Regionalbischöfin Marianne Gorka

Familie Jesu – eine neue, gelebte Verbundenheit

 „Das Haus ist voll, und seine Familie steht draußen vor der Tür. Die Seinen sehen den Erfolg mit Sorgen, doch Jesus ruft eine neue Familie aus: ‚Das hier sind meine Mutter und meine Brüder“, predigt Regionalbischöfin Gorka beim Gedenkgottesdienst. So sei es auch bei der Tobiasgemeinschaft – oft sei die Trauergemeinde klein, ein Kreis von Ehrenamtlichen, die sich derer annehmen, die sonst „draußen vor der Tür“ der Gesellschaft stünden. Doch diese kleine Schar löst eine Bewegung aus, die Nächstenliebe und Menschlichkeit lebendig macht.

„Denn wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder und Schwester und Mutter.“ Diese Worte motivieren, jeden Menschen zu achten, der Begleitung und Beistand benötigt – unabhängig vom sozialen Stand oder Bekanntheitsgrad.

Offene Einladung zum Mitmachen

Ableger der Tobiasgemeinschaft gibt es bereits in Uelzen und Elmshorn, weitere Gründungen sind in Dresden und Rinteln geplant. Jeder, der sich sozial engagieren möchte, ist willkommen – ganz im Sinne der neuen Familie Jesu. Erwin Rose resümiert: „Das ist eine sehr würdige Veranstaltung, die dem Menschen gerecht wird. Man sieht, wie voll Kirchen und Trauerhallen werden – das zeigt, dass wir als Gemeinschaft einen wichtigen Platz in Lüneburg haben.“

Wer sich auf die stille, aber kraftvolle Atmosphäre einer Tobias-Trauerfeier einlässt, spürt: Hier wird niemand vergessen. Die Tobiasgemeinschaft macht Lüneburg menschlicher – mit Engagement  und Respekt bis zuletzt.

Mehr Informationen unter www.tobiasgemeinschaft.de

Erwin Rose über die Tobiasgemeinschaft

Erwin Rose ist seit 2020 Teil der Tobiasgemeinschaft Lüneburg – einer besonderen Initiative, die sich dafür einsetzt, dass niemand in Lüneburg ohne würdigen Abschied geht.

Für ihn ist es eine Herzensangelegenheit: „Ich finde es ganz wichtig, dass Menschen, die früher oft sehr früh morgens und ohne Angehörige beigesetzt wurden, endlich eine würdige Verabschiedung bekommen.“ 

Erwin war überrascht, wie viele Menschen „ganz alleine leben und sterben, ohne Verwandte“ – früher wurden sie teils „weggescharrt“. Die Tobiasgemeinschaft gibt diesen Menschen ein Gesicht und eine Stimme, lässt sie nicht vergessen werden.

Sehen Sie Erwin Rose hier im Instagram-Reel.

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