Demokratie unter Druck: Kirche und Verfassungsschutz im Dialog auf Hanns-Lilje-Forum

Pressemitteilung 13. Mai 2025

„Demokratie ist ein Kontaktsport – es geht darum, da zu sein, wenigstens zuzuhören.“

Hannover, 12. Mai 2025

Mehr als 150 Gäste kamen am 12. Mai 2025 in der Neustädter Hof- und Stadtkirche Hannover zusammen, um beim Hanns-Lilje-Forum der Frage nachzugehen, wie Kirche, Politik und Zivilgesellschaft auf den wachsenden Rechtsextremismus und die Spaltungstendenzen in Deutschland reagieren können. Die Veranstaltung, organisiert von der Hanns-Lilje-Stiftung und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, stand unter dem Titel „Ideologie der Ungleichwertigkeit? Perspektiven für eine solidarische Gesellschaft“.

Impulsvortrag: Demokratie unter Druck

Im Rahmen seines Impulsvortrags hat Stephan J. Kramer, Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz, eindringlich vor einer wachsenden Bedrohung der Demokratie in Deutschland gewarnt. „Für mich ist die Demokratie bedroht. Die Bedrohung ist hier und jetzt! Sie wird von außen, aber vor allem von innen bedroht“, erklärte Kramer zu Beginn seiner Ausführungen.
Er warnte eindringlich vor den Strategien rechtsextremer Kräfte, die demokratische Prozesse nutzen, um die Demokratie selbst zu untergraben.

Aktuell ist die AfD in Thüringen als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und hat bei der Bundestagswahl 38,6 Prozent der Stimmen sowie sieben von acht Direktmandaten errang – auch in Niedersachsen legte die Partei deutlich zu. Dass die Einstufung der Partei als gesichert rechtsextremistisch auf Bundesebene vorerst ausgesetzt wurde, habe neben anderen auch strategische Gründe und sei keinesfalls als „Rückzieher“ zu verstehen.

„Der größte Erfolg der Rechtsextremen ist es, dass sie demokratisch gewählt wurden.“

Stephan J. Kramer, Präsident Verfassungsschutz Thüringen

Kramer stellte die zentrale Frage, in welcher Gesellschaft wir künftig leben wollen – und betonte, dass die Verteidigung demokratischer Werte keine Selbstverständlichkeit mehr sei: „In welchem Land, in welcher Gesellschaft wollen wir, unsere Kinder und unsere Enkel künftig leben?“ Er verwies darauf, dass Deutschland lange auf Diplomatie und wirtschaftliche Verflechtungen als Friedensgaranten gesetzt habe. In einer zunehmend hybriden Welt könne dies jedoch zur Schwachstelle werden.

Weiter verwies der Thüringer Verfassungsschützer auf die Rolle digitaler Manipulation, Fake News und gezielter gesellschaftlicher Spaltung: „Der größte Erfolg der Rechtsextremen ist es, dass sie demokratisch gewählt wurden, sie nutzen die Waffen der Demokratie, um die Demokratie zu zerstören.“ Er rief dazu auf, Warnungen des Verfassungsschutzes ernst zu nehmen und die demokratische Mitte zu stärken. „Demokratie stirbt durch Schweigen, Passivität und wenn Menschen das Gefühl verlieren, dass Demokratie ihr Leben verbessert.“

„Wir sollten Gespräche nicht verweigern. Gib niemanden verloren.“ 

Regionalbischöfin Marianne Gorka

„Demokratie ist ein Kontaktsport“

Im Anschluss diskutierten Regionalbischöfin Marianne Gorka (Sprengel Lüneburg), Maria Sinnemann (Referentin für Demokratiebildung und -förderung der Landeskirche) und Stephan J. Kramer über konkrete Handlungsoptionen. Moderiert wurde das Gespräch von Prof. Dr. Christoph Dahling-Sander, Geschäftsführer der Hanns-Lilje-Stiftung.

Die Regionalbischöfin erinnerte an die Bedeutung von Dialog und öffentlicher Sichtbarkeit: „Demokratie ist ein Kontaktsport – es geht darum, da zu sein, wenigstens zuzuhören.“ Sie verwies auf kirchliche Kampagnen wie „Verständigungsorte“, die darauf zielen, Menschen, die unterschiedlicher (politischer) Ansichten sind, miteinander ins Gespräch zu bringen und damit demokratische Werte zu leben. Gorka sprach sich gegen pauschale Ausgrenzung aus: „Wir sollten Gespräche nicht verweigern. Gib niemanden verloren.“ 

Sie stellte aber auch klar, dass die Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Partei wie der AfD für bestimmte kirchliche Ämter disqualifizierend sein sollte, auch wenn dies derzeit noch nicht automatisch zum Ausschluss führt, wenn Personen dieses Amt bereits innehaben. „Insbesondere bei einem Verbot der Partei sollten wir hier als Kirchenleitende Verantwortung von den Schultern unserer Mitglieder nehmen und klare Grenzen stecken, an denen sie sich orientieren können.“

Über Motive und schleichende Einflüsse rechtsextremer Parteien

Maria Sinnemann, Expertin für Demokratiebildung und -förderung der Landeskirche, erinnerte an die symbolische und solidarische Wirkung von kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Aktionen hervor: „Kampagnen wie unsere „Menschenwürde, Vielfalt und Zusammenhalt“ im Rahmen der Bundestagswahl können auch mittel- und langfristig Wirkung entfalten und Akteur:innen stärken“. Auf die ihr häufig entgegengebrachte Frage, was Demonstrationen für Demokratie und gegen rechtsextreme Kräfte überhaupt bringen, sagte sie: „Sie sind immer auch ein Signal der Solidarität mit den Betroffenen. Wir zeigen, dass wir an ihrer Seite stehen.“ 

Die Diskussion zeigte, dass die Motive der AfD-Verantwortlichen oft in einer Strategie der Abwertung „der anderen“ und der Behauptung eigener Überlegenheit liegen. Stephan J. Kramer warnte: „Die verfassungsfeindliche Gesinnung darf nicht zur Normalität werden.“ Die Signalwirkung solcher Ideologien sei fatal, da sie gesellschaftliche Spaltung und Misstrauen förderten. Kramer forderte eine starke Zivilgesellschaft, als dessen Akteurin er auch die Kirche sieht, und eine neue, gesamtgesellschaftliche politische Bildung sowie einen starken, unabhängigen Journalismus als Rückgrat der Demokratie.

Preisverleihung: Freiheit und Verantwortung

Im Rahmen des Forums wurde der „Hanns-Lilje-Stiftungspreis Freiheit und Verantwortung 2025“ verliehen, einer der höchstdotierten kirchlichen Preise für Nachwuchswissenschaftler/innen, Projekte und Initiativen. In der Kategorie Wissenschaftspreis wurden Dr. Nicole Kunkel für ihre Dissertation „An ethical evaluation of lethal functions in autoregulative weapons systems“ und Prof. Dr. Lisanne Teuchert für ihre Habilitation „Die Wiederkehr der Rache. Emotionen, Überzeugungen und Praktiken aus theologischer Perspektive“ ausgezeichnet. Der Initiativpreis ging an den Oldenburger „Arbeitskreis Koloniale Kontinuitäten“ für dessen herausragende und beispielhafte Arbeit.

Die Auszeichnungen wurden von Prof. Dr. Volker Kirchberg, Vorsitzender des Kuratoriums der Hanns-Lilje-Stiftung, und Prof. Dr. Christoph Dahling-Sander überreicht.

Kirche als Akteurin für eine solidarische Gesellschaft

Das Forum machte deutlich: Kirche, Politik und Zivilgesellschaft stehen gemeinsam in der Verantwortung, demokratische Werte zu verteidigen und Ausgrenzung entgegenzutreten. Die Hanns-Lilje-Stiftung fördert mit ihrem Preis und ihren Veranstaltungen den Dialog zwischen Kirche, Wissenschaft und Gesellschaft und setzt damit wichtige Impulse für die Zukunft von Politik und Gesellschaft.

Hinweis

Der Hanns-Lilje-Stiftungspreis war zum Themenfeld „Die Zukunft von Politik und Gesellschaft“ ausgeschrieben. Besonderes Interesse galt zukunftsorientierten Themen und Lösungsansätzen, in denen Kirche und Theologie mit anderen Bereichen gesellschaftlichen Lebens zusammengebracht werden

Hanns-Lilje-Stiftung

Die Hanns-Lilje-Stiftung fördert den Dialog von Kirche und Theologie mit Kunst und Kultur, Politik und Gesellschaft sowie mit Wissenschaft, Technik und Wirtschaft. Sie wurde 1989 gegründet und gehört zu den größten fördernden kirchlichen Stiftungen in Deutschland.

Informationen zur Hanns-Lilje-Stiftung