Marina Schütt nach mehr als 16 Jahren Leitungserfahrung in der Ganztagsschule: Was Kinder wirklich stark macht

Nachricht Lüneburg, 07. Juli 2025

Depressionen gibt es auch bei Kindern – oftmals dann, wenn sie die Erfahrung machen, nicht zu genügen. Marina Schütt geht nach 16 Jahren als Leiterin der Ganztagsschulerziehung im Kirchenkreis Wolfsburg-Wittingen in den Ruhestand und weiß, wie es anders gehen kann.

Manchmal passiert es, dass sich ein Kind an Marina Schütt anheftet, wenn sie in den Schulen hospitiert. 

 „Wo gehen Sie denn hin?“ 
„Ich will mal zu eurem Insektenhotel gehen.“ 
„So was haben wir?“ 
„Komm‘, ich zeig‘ es Dir. Kennst Du die, die da rumfliegt?“ 
„Nein.“
„Das ist eine wunderschöne Wespe.“ 
„Und ich bin Manuel, Du darfst mich Manni nennen.“

Wenn Kinder so sind, habe sie Freude an ihrer Arbeit, sagt Marina Schütt. In jeder ‚ihrer‘ Ganztagsschulen hat sie im Laufe der 15 Jahre, die sie die Ganztagsschulerziehung des Kirchenkreis aufgebaut und weiterentwickelt hat, jedes Jahr eine Woche hospitiert. Fünf Schulen in Wolfsburg und Umgebung betreut das Team um die 65jährige Sozialpädagogin aktuell.

Und Jungs wie Manni hätten möglicherweise im Leben schlechtere Karten ohne diese engagierte Arbeit. „Wir haben ihn am Nachmittag gestärkt. Ein Jahr davor war das ein anderer Junge.“ Der Viertklässler, der eigentlich freundlich und hilfsbereit ist, zeigte sich häufig aggressiv, störte penetrant den Sitzkreis. Das gehört der Vergangenheit an. „Wenn ich sowas sehe, bin ich begeistert. Da machen unsere Kolleg:innen richtig gute Arbeit.“

Ein toller Junge

Manni kann nicht gut rechnen. Er kann nicht gut lesen und schreiben auch nicht. „Das wird er nicht lernen. Er kann es nicht. Aber er kann ein total wichtiges Mitglied unserer Gesellschaft werden. Ein toller Junge ist das.“ Wie viele andere Kinder macht er aber in der Schule ständig die Erfahrung: Ich genüge nicht. „Dem System genügt er ja auch nicht. Aber wir brauchen all diese Menschen. Wir brauchen Menschen, die Handwerker werden, Köchin oder Verkäufer. Und wenn sie das dann mit Herzblut tun, ist das doch super. Dann sind sie doch glücklich!“

Depressionen bei Kindern

Marina Schütt guckt auf das individuelle Kind. „Denen wird heutzutage ein Trichter auf den Kopf gesetzt und da kommt alles rein. Und leider werden dabei Kinder bereits in der vierten Klasse depressiv, weil sie sehen, dass ihre Noten wahrscheinlich nicht fürs Gymnasium reichen werden.“ Wertschätzung und Anerkennung, positive Verstärkung, alles notwendige Voraussetzungen für gutes, nachhaltiges Lernen, fehlten heute. Und nicht nur Grundschüler werden depressiv, auch junge Menschen zu Beginn ihres Studiums seien das oftmals, so eine aktuelle Studie. 

Lesen, Schreiben, Rechnen – all das steht in den schulischen Lehrplänen. Soziales Miteinander, Kreativität, Bewegung dagegen nicht. Mit ein Grund, weshalb es der Stadt so wichtig war, neben der schulischen Fachkompetenz die sozialpädagogische Fachkompetenz an die Schulen zu holen – zum Wohle der Kinder. Auf dem Foto: Kinder der Evangelischen Waldschule Eichelkamp (Foto: Jens Schulze/EMA)

Ganztagsschulerziehung kostet Familien kein Geld

Ganztagsschulen gibt es in Wolfsburg seit dem Jahr 2009. Damals wollte die Stadt kinder- und familienfreundlicher werden. Das Land Niedersachsen, eigentlich zuständig für das Personal an Schulen, habe dafür wenig Geld bereitgestellt. Und so hat die Stadt unter der Leitung der Wolfsburger Stadträtin Iris Bothe richtig Geld dafür in die Hand genommen. Vier Millionen jährlich gibt es für mittlerweile 19 Ganztagsschulen in Wolfsburg, fünf davon betreut Marina Schütt mit ihrem Team. Waren Horte, die es bis 2009 gab, teuer für die Eltern, so sind die Ganztagsschulangebote kostenlos. Ihr Wert jedoch wird von Eltern oftmals nicht gesehen.

Angebote zum Wohle der Kinder

„In unserer leistungsorientierten Gesellschaft bleibt es an uns, den Wert des selbstbestimmten Lernens darzustellen. Das enorme Potenzial des Freispiels für eine gute kindliche Entwicklung wird häufig unterschätzt“, ist sich Marina Schütt sicher. „Uns ist non-formale Bildung sehr wichtig.“ Denn Lesen, Schreiben, Rechnen – all das steht in den schulischen Lehrplänen. Soziales Miteinander, Kreativität, Bewegung dagegen nicht. Mit ein Grund, weshalb es der Stadt so wichtig war, neben der schulischen Fachkompetenz die sozialpädagogische Fachkompetenz an die Schulen zu holen – zum Wohle der Kinder. Unser Gehirn entwickelt sich maßgeblich durch Bewegung, aktives Musizieren schafft neue Verknüpfungen. Sport- und Musikunterricht sind jedoch an Grundschulen mittlerweile Orchideenfächer, auch weil Fachpersonal dafür fehlt. 

Schule besser machen 

„Mit unseren Angeboten ermöglichen wir das eine oder andere davon jetzt im Nachmittagsbereich“, erläutert Marina Schütt. Zum inhaltlichen Konzept der Ganztagsschulerziehung habe ihr Team auch ein Sozialtrainingsprogramm entwickelt, von dem nicht nur Kinder wie Raffi profitieren. Schule besser machen ist eine der Triebfedern für Marina Schütt, nicht nur Kulturtechniken vermitteln, sondern auch soziale, kreative und emotionale Kompetenz fördern. 
 

„Ich habe 45 Jahre gearbeitet. Die Ganztagsschulerziehung ist nicht mein Lebenswerk, aber sie ist ein beeindruckender Teil meiner Arbeit. Ich konnte und musste sehr viel gestalten. Und ich musste mich sehr verändern, um dem gerecht zu werden.“ 

Marina Schütt
Vier Millionen jährlich gibt es für mittlerweile 19 Ganztagsschulen in Wolfsburg, fünf davon betreut Marina Schütt mit ihrem Team. (Foto: Schulkind der Evangelischen Waldschule Eichelkamp, Jens Schulze/EMA)

Himmelsdetektive und Forscherinnen

„Am Nachmittag geht es viel um Freiwilligkeit. Denn Kinder oder Menschen überhaupt lernen durch Motivation. Und wenn sie nicht motiviert sind, machen sie es nicht.“ Die spielen ja nur, kritisierten Eltern gern. „Ja, die spielen nur. Und lernen dabei alles fürs Leben, was sie lernen müssen.“ Selbstbestimmt können sie wählen, was sie tun möchten. Sich bewegen, etwas basteln, Rollenspiele, was man halt so spielt. Dafür braucht es Außengelände, Räume und Material, das Angebot orientiert sich an den Interessen und Bedürfnissen der Kinder. Das können Himmelsdetektive oder Jurtenbau sein an der Evangelischen Waldschule Eichelkamp, eine Forscher:innen-Werkstatt wie an der Leonarda-da-Vinci-Schule in der Wolfsburger Nordstadt oder das Insektenhotel in Neindorf im Hasenwinkel.

29 Jahre hat Marina Schütt im Kirchenkreis gearbeitet, zunächst viele Jahre als Erzieherin und später als stellvertretende Leiterin der Michaelis-Kita in Fallersleben und seit 2009 als Leiterin der Ganztagsschulerziehung. Dabei wollte die diplomierte Sozialpädagogin gar nicht Erzieherin werden. „Meine Eltern wollten das. In der DDR gab es vier verschiedene Erzieherinnen-Ausbildungen. Ich wurde Hort-Erzieherin mit Lehrbefähigung für Kunst, Erziehung und Musik an der Fachhochschule in Schwerin.“ Nach der Wende stand bei ihr wie bei so vielen anderen alles Kopf und das mit zwei schulpflichtigen Kindern. „Ich habe 45 Jahre gearbeitet. Die Ganztagsschulerziehung ist nicht mein Lebenswerk, aber sie ist ein beeindruckender Teil meiner Arbeit. Ich konnte und musste sehr viel gestalten. Und ich musste mich sehr verändern, um dem gerecht zu werden.“ Wenn Marina Schütt morgens vor dem ersten Kaffee ihren Garten begrüßt, kann sie das jetzt mit mehr Ruhe tun. „Ich liebe das. Das ist mein erster Weg morgens.“ Garten, Natur und ihre Enkelin sollen nun an erster Stelle stehen. 
 

Text: Frauke Josuweit, Kirchenkreis Wolfsburg-Wittingen

Kinder der dritten klasse an der Waldschule Eichelkamp beim Religionsunterricht. (Foto: Jens Schulze/EMA)

Dankesworte und Hintergrund

„Sie waren eine Pionierin in unserer Landeskirche. Dafür braucht man eine gute Portion Furchtlosigkeit. Unzähligen Kindern und vielen Mitarbeitenden ebenso haben Sie Entwicklungschancen gegeben. Sie haben das pragmatisch, lösungsorientiert und strukturiert umgesetzt. Durch Sie, liebe Frau Schütt, war der Kirchenkreis ein verlässlicher Partner für die Schulen und die Stadt Wolfsburg.“ 

Superintendent Christian Berndt

Ganztagsschul-Erziehung 

Fünf offene Ganztagsschulen in Wolfsburg kooperieren mit dem Kirchenkreis Wolfsburg-Wittingen. Durch unsere Arbeit an diesen Schulen ermöglichen wir Chancengleichheit für Kinder und Familien mit und beteiligen uns an der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe Bildung.