„Posaunenchor – das war mein Leben“

Nachricht 11. Juli 2025

Hans-Heinrich Oltshausen aus Sprakensehl war 70 Jahre aktiv im Posaunenchor.

1954 fing alles an. Als die Posaunen und die Trompeten ‚Stille Nacht‘ spielten. „Da habe ich zu meinen Eltern gesagt: Ich mache da mit.“ Noch in den Weihnachtstagen geht Hans-Heinrich Oltshausen zu seinem Onkel und holt sich eine Trompete. „Der wohnte im Ort gleich um die Ecke.“ Üben muss der Sohn eines Landwirtes allerdings im Kuhstall. „So’n luudes Instrument, dat is nix“, befand der Vater des damals 15-Jährigen. Laut heißt das. Und mehr noch: Durchdringend.

Die Einschätzung, eine Trompete tauge nichts, wird im Nordwesten des Isenhagener Landes nicht uneingeschränkt geteilt, es gibt dort unzählige Posaunenchöre, auch heute noch. Allein sechs sind es in den Kirchengemeinden Steinhorst, Groß Oesingen, Sprakensehl und Hankensbüttel. Hatte sich der alte Olthausen an Harmonium und Geige im Selbstversuch erprobt, so hatte Sohn Hans-Heinrich immerhin in den ersten Wirtschaftswunderjahren beim Sprakensehler Pastor Klavierunterricht bekommen. 

Posaunenchor war Männersache

Der wirtschaftliche Aufschwung hatte die Region noch nicht erreicht, Pastor Wolters erhielt von der Dorfbevölkerung Kleidung und Lebensmittel und unterrichtete dafür ihre Kinder. Mit ein Grund, weshalb Hans-Heinrich Oltshausen nur wenige Monate mit seinem Instrument in den Kuhstall gehen musste. „Ich hatte den Vorteil, dass ich beide Notenschlüssel lesen konnte: Bass- und Violinschlüssel. Das war bei den anderen im Posaunen-Chor nicht der Fall. Die konnten immer nur den Notenschlüssel, den sie auch geblasen haben“, erinnert sich der heute 85jährige Sprakensehler. Bereits im Frühjahr darf er mitspielen im Posaunenchor. „Wie gut oder wie schlecht, das weiß ich nicht. Aber ich habe mitgeblasen.“ 

„Irgendwann werde ich wohl nicht mehr zum Blasen kommen. Aber noch muss ich immer junge Leute nach der Probe nach Hause fahren.“ 

Hans-Heinrich Oltshausen

Am zweiten Januartag 1882 ging es los bei den Bläsern in Sprakensehl. Höchstens 17 Mitglieder durfte der Chor gemäß seiner damaligen Satzung aufnehmen. Alles Männer selbstverständlich. Wer keinen ehrbaren, christlichen Lebenswandel führte, strafbar wurde oder gar uneheliche Kinder zeugte, war ausgeschlossen. Geübt wurde in Scheunen, der örtlichen Schmiede, Viehställen oder beim Dorfwirt. Kriege und gefallene Bläser, Brände, politische Systemwechsel – all das hat der Sprakensehler Posaunenchor erlebt im Laufe seiner Geschichte und immer wieder überstanden. Menscheleien sicherlich auch. Aber davon soll hier die Rede nicht sein. Obwohl: Frauen waren lange ausgeschlossen. Völlig egal, ob sie unbescholten lebten oder nicht.

"Das geht nur, wenn man jung ist"

15 Jahre Trompeten-Lehrzeit und dann ist klar: Hans-Heinrich Oltshausen wird als Chorleiter Nachfolger des eigenen Onkels Christoph Heine, der 35 Jahre das Amt innehatte. In seiner Lehrzeit zum Landmaschinenkaufmann in Hannover hatte Oltshausen sich eine eigene Trompete erspart. In Hannover und Umgebung wurde in Militärschreibweise gespielt, im Isenhagener Land die Kuhlo-Griffe. „Da habe ich dann in Hannover die Militärschreibweise gebüffelt und in der Firmenkantine geübt“, erinnert sich der Sprakensehler. „So was kann man nur, wenn man jung ist.“ Zu Chorleiter Heines Zeiten gab es drei Choralbücher mit Bach-Sätzen und Kuhlo-Sätzen. Beides Koriphäen zu ihrer Zeit, Bach auch heute noch eine Legende, Kuhlo Sohn des Gründers der evangelischen Posaunenchorbewegung und glühender Nationalsozialist. 

„Ich hatte rhythmische Probleme. Das ist heute viel schwieriger geworden. Aber die jungen Leute, die können das.“

Hans-Heinrich Oltshausen

Die Kuhlo-Sätze waren auch für musikalische Laien zu bewältigen. Hans-Heinrich Oltshausen holt junge Leute in den Chor, bringt ihnen Trompete und Posaune bei, übt mit ihnen Volkslieder. „Immer wenn ein jüngerer Chorleiter kommt, macht der ein bisschen was anders.“ Dafür drückt der mit dem ‚luuden‘ Instrument an Wochenenden die Schulbank, macht eine Chorleiterausbildung und später weitere Fortbildungen. Neben einem landwirtschaftlichen Betrieb mit 90 Sauen, vier Kindern, einer pflegebedürftigen Mutter und einer Versicherungsagentur. „Das war schon manchmal ein bisschen hart. Aber wir haben es geschafft“, wirft Irmgard Oltshausen ein. Wenn man nichts Neues mache, bleibe der ein Posaunenchor in seinem Niveau zurück. „Ich hatte rhythmische Probleme. Das ist heute viel schwieriger geworden. Aber die jungen Leute, die können das“, erlebt der 85jährige.

Anna Zabel ist eine von den jungen. Die 20jährige Sprakensehlerin, 20 Jahre spielt in der zweiten Posaune. Direkt neben Hans-Heinrich Oltshausen, der immer noch jeden Donnerstag zur Probe kommt. „Es ist total toll hier. Wir verstehen uns alle richtig gut. Egal welches Alter, alle reden miteinander.“ Es geht also nicht nur ums Musik machen. Es geht auch um Gemeinschaft. Der Bläserchor ist ein sozialer Treffpunkt und das auch noch generationenübergreifend. Hans-Heinrich Oltshausen zeigt Anna Griffe, die sie noch nicht kennt. Und Anna Zabel erinnert ihren Pultnachbarn gelegentlich an Wiederholungen. „Naja, man wird schon ein bisschen tüdelig. Ich werde ja 86.“

Drei Generationen gemeinsam im Posaunenchor

Die jüngere Geschichte des Sprakensehler Posaunenchors ist auch eine Art Familiengeschichte. Johann Oltshausen ist seit der vierten Klasse im Bläserchor. „Hat mir Spaß gemacht von Anfang an“, sagt der frischgebackene Abiturient. Posaune lernte er, anders als die meisten, die von den jeweiligen Chorleitern unterrichtet wurden, in der Musikschule. Also nicht beim Großvater und auch nicht bei seinem Vater Kai Oltshausen, der den Chor mittlerweile ein Vierteljahrhundert leitet. „Zum Glück. War schon blöd genug, wenn Papa in der Schule Vertretung in meiner Klasse gemacht hat.“ Drei Generationen, die gemeinsam musizieren. Und wer kann’s am besten? „Papa. Opa ist ein bisschen abgestürzt, der kann nicht mehr so gut gucken. Aber ich glaube, Opa kann gar nicht ohne. Und Oma freut sich, wenn er mal draußen ist und sie ein bisschen Ruhe hat.“ 

Wenn Hans-Heinrich Oltshausen jetzt 70 Jahre aktives Leben mit, im und für den Sprakensehler Posaunenchor feiert und dafür mit einer besonderen Medaille durch den Landesposaunenwart Henning Herzog geehrt wird, dann ist das längst nicht alles. Denn er feiert auch Diamantene Hochzeit. „Ohne meine Irmgard geht hier überhaupt nichts!“

Irmgard Oltshausen war einer der ersten beiden Frauen, die in den 1960er Jahren, da war der Bläserchor in seinem achten Lebensjahrzehnt, mit den Herren gleichtun durften. Die Ursel vom Dachdecker mit dem Waldhorn und die Irmgard vom Oltshausen mit einem Tenorhorn. Ob sie wohl gern selbst Chorleitung geworden wäre, nicht immer nur alles gemanagt hätte? „Hätte ich gar nicht gekonnt, ich hab‘ ja alles andere gemacht. Aber immer stehen die Männer im Vordergrund und kriegen die Lorbeeren. Und die Frauen machen im Hintergrund die Arbeit und keiner sieht es.“

Text: Frauke Josuweit (Kirchenkreis Wolfsburg-Wittingen)

Ein Ständchen für Irmgard und Hans-Heinrich Oltshausen vom Posaunenchor Sprakensehl (Foto: Frauke Josuweit)

Hintergrund

Posaunenchöre sind der besondere Sound der Evangelischen Kirche, mehr als 85tausend Menschen musizieren hier deutschlandweit. Dass jemand 50 oder 60 Jahre dabei ist, sei nicht ungewöhnlich. „70 Jahre Posaunenchor sind schon eher selten“, sagt Hennig Herzog, einer der sechs Landesposaunenwarte der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Am Donnerstag vergangener Woche hat er Hans-Heinrich Oltshausen für 70 Jahre aktive Mitgliedschaft im Sprakensehler Posaunenchor ausgezeichnet. 

Der Posaunenchor Sprakensehl hat aktuell knapp 30 Aktive – generationengemischt im Alter von 11 bis 85 Jahren. Geprobt wird immer donnerstags 19.30 bis 21.00 Uhr in der Pfarrscheune, Interessierte sind Chorleiter Kai Oltshausen und dem Bläserchor herzlich willkommen.
 

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